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Interview mit Dr. med. Jan-Peter Jansen – Schmerzzentrum Berlin

Dr. med. Jan-Peter Jansen Schmerzzentrum BerlinWer ist Jan-Peter Jansen? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.

„Schmerzzentrum Berlin“. Hier werden im Quartal bis zu 10.000 Patienten betreut, es ist das größte ambulante Schmerzzentrum. Hier werden die Patienten von 15 Ärztinnen und Ärzten aus 8 verschiedenen Fachrichtungen betreut. Die „Schmerzklinik Berlin“ ist im Bau und wird stationär 22 Betten und 8 tagesklinische Plätze für unsere Patienten bereit halten. Ich bin Mediziner mit Leidenschaft, liebe meine Patienten und unser Haus und fühle mich mit meinem Team einfach nur täglich sehr wohl. Gemeinsam können wir die Herausforderungen täglich meistern, das macht auch am meisten Spaß, wenn unser System unter Vollast läuft und alle zufrieden sind – natürlich auch und in erster Linie die Patienten. „Der Mensch im Mittelpunkt – wir haben verstanden.“

Wir lieben moderne Technologien und entwickeln selbst Möglichkeiten und Instrumente, um unsere Arbeit mit Prozess-und Ergebniskontrollen messbar zu machen.

Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.

Wir lieben moderne Technik: Ich bin per Mail schneller und besser erreichbar als z. B. telefonisch. Anfragen von Patienten werden so rasch beantwortet, dass diese häufig erstaunt sind. Aber – es macht sie sehr glücklich, hier auch über eine kurzfristige Hilfe zu verfügen.

Ich bin dementsprechend mit meinem Smartphone sehr stark verbunden. An meinen Arbeitsplätzen im Schmerzzentrum bin ich mit meinen Rechnern stets online. Das bedeutet aber auch, dass unsere Patienten, welche diese Technik nutzen, auch davon profitieren. Vieles kann man online erledigen und spart sich damit Wege und Zeit.

Elevator Pitch! Was macht Eure Firma? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?

In unseren jährlichen Patientenbefragungen geben uns unsere Patienten für unsere Betreuung eine 1,3. Das ist ein sehr gutes Ergebnis: Man muß bedenken, es handelt sich um chronische Schmerzpatienten, die häufig eine lange Odyssee hinter sich haben. Wir haben ein grundhumanistisches Gefühl unseren Patienten gegenüber, wir dienen ihnen mit unserem Wissen und unseren Fähigkeiten. Wir versuchen jedem respektvoll zu begegnen und uns die Zeit zu nehmen, die er braucht. Dies schaffen wir nicht immer optimal, aber wir geben uns täglich diese Mühe.

Apropos Superpower: Verrätst Du uns ein „Best Practice“ Beispiel Deiner Firma, wo ihr besonders erfolgreich wart? Was waren Deiner Meinung nach die Erfolgsfaktoren?

Ich bin überzeugt, dass einer unserer Erfolgsfaktoren ein tolles Team ist, in dem wir arbeiten. Ob Professor oder AzuBi, alle kommunizieren auf dem gleichen Niveau. Jeder stellt seine Kraft in den Dienst am Patienten. Dabei geben wir uns Mühe, es jedem so angenehm wie möglich zu machen.

Dazu gehören verschiedene Maßnahmen: Jährliche mehrtägige Betriebsausflüge mit z. B. Cocktailkurs, Tanzkurs, Filmdreh,Zauberkurs und einer abendfüllenden Revue oder aber auch die jahrelange Tätigkeit der „Kapelle Schmerzfrei“ mit einer eigenen CD auf „Schmerzfrei records“, außerdem unsere hauseigenen Fort-und Weiterbildungen, unser jährlichen Flugtage (hier ist jeder mal „Pilot für einen Tag“ auf dem Ultraleicht-Flugplatz in Fehrbellin) oder aber auch Modertorentrainings und Pizza-Back-Wettbewerbe. Dafür stellen wir auch gern nicht unerhebliche Mittel zur Verfügung.

In unserer Branche geht es um im Wesentlichen unheilbare Erkrankungen. Die Schmerzen dominieren den Alltag der Betroffenen und verschlechtern die Lebensqualität erheblich. Hier können wir mit multimodalen Aktivitäten eine Besserung erzielen. Der Betroffene muss aber aufgeklärt und damit in die Lage versetzt werden, mitarbeiten zu können. Oftmals bleibt auch nur eine Ressourcen-orientierte Behandlung: Wenn ich nur 4 Stunden am Tag habe, bei denen es mir gut geht, genieße ich diese Zeit und versuche den Rest des Tages nicht zu jammern, sonst will auch keiner mit mir zusammen sein.

Die Lebensfreude, die Orientierung auch mit einem Handicap glücklich sein zu können, bzw. glückliche Momente zu erleben, steht in unserem Focus. „Man braucht jeden Tag etwas, worauf man sich freut.“

Wie lebt ihr Digitalisierung in Eurem Unternehmen? In welchem Bereich habt ihr Digitalisierung erfolgreich um- oder eingesetzt?

Wir würden gern unsere Dokumentation im Sinne von elektronischen Checklisten verändern. Bisher dokumentieren wir überwiegend – wie die ganze Branche weltweit – in Fließtext. Das ermöglicht keine Prozess-oder Ergebniskontrollen in Echtzeit. Das von uns entwickelte „Berliner Modell“ kann dies ändern, auch ein Benchmarking zwischen verschiedenen Zentren ist möglich. Dies steckt aber noch  in den Kinderschuhen. Es ist dringend an der Zeit, hier eine Veränderung einzuführen.

Wir haben bei uns im Haus 2 Jahre lang elektronische Rezepte getestet: Die Technologie ist reif. Hier können wir inzwischen wirklich wie bei Amazon höchsten Komfort für chronisch Kranke entwickeln. Das Problem ist die Schwerfälligkeit der Gesetzgebung, die Insellösungen bleiben nicht umsetzbar für die Allgemeinheit, das System ist viel zu träge. So können wir nur unseren Patienten aber Online-Dienste anbieten.

Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?

Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:

Die Aufhebung des „Fernbehandlungsverbotes“ für die Einführung von z. B. Live-Chat mit dem Patienten ist eine zentrale Aufgabe.  Zusätzlich sollten Verträge zwischen Leistungserbringern und den Kostenträgern Jahresrezepte für chronisch Kranke ermöglichen, bei denen die Medikamente sozusagen als Flatrate zur Verfügung gestellt werden. Die regelmäßige Übernahme der Wirkstoffe wird digital kontrolliert, so dass der Patient hier unabhängig ist. Wenn Auffälligkeiten eintreten, kann das Zentrum sofort mit dem Patienten Kontakt aufnehmen. Telemedizinische Leistungen brauchen eine rechtliche Grundlage und auch eine Honorierung. Dies muss kurzfristig geregelt werden. Die Zeit ist hier einfach überreif.

Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:

Der Gesundheitsbereich ist in seiner Leistungsfähigkeit im wesentlichen nicht wissenschaftlich kontrolliert. Es überwiegen materielle Anreize, die auch zu starken Fehlentwicklungen führen – denken wir nur an die übergroße Zahl an Rückenoperationen, Bandscheibenentfernungen u.ä., die wir heutzutage für sinnlos halten. Wir brauchen endlich für diese und andere Betroffenengruppen Langzeitstudien, die wir als einfache online-Register führen können. Technische Lösungen liegen vor, die Mitarbeit des Datenschutzes ist vorhanden, es fehlt an einem landesweiten Rollout. Sicherlich, weil auch bestimmte Gruppen gar kein Interesse daran haben, dass solche Verläufe mit entsprechenden praktischen Konsequenzen abgebildet werden.

Herausforderung für unseren Markt:

Digitalisierung, Online-Dienste, virtuelle Patientenakte und elektronisches Rezept – das sind Schlagworte, die endlich in die Realität überführt werden müssen. Andere Länder sind hier viele Jahre weiter. Wer möchte nicht seine Laborergebnisse direkt nach Eingang auf dem Smartphone haben? Warum dafür eigens einen weiteren Arzttermin? Die Entjüngung der Ärzteschaft setzt sich fort. Wir müssen also pro Arzt mehr Bürger betreuen, das geht nur unter konsequentem Einsatz moderner Technologien.

Herausforderung für unsere Firma:

Wir suchen nach Lösungen in diesem Bereich. Unsere Möglichkeiten und Mittel sind aber sehr begrenzt. Die Masse der Anwender von üblicher Praxissoftware haben keine solche Interessen. Daraus entsteht ein natürlicher Konflikt: Wir können diese Fragen nur durch die Entwicklung von Zusatzsoftware stellen und lösen, damit sind unsere Ressourcen aber erheblich begrenzt. Die großen Hersteller von Software sind hier ebenfalls in ihren Interessen gefangen. So wird alles bis zu unserem Idealbild also noch Jahre dauern.

Was hat Dich bisher am meisten am Internet geärgert, was am meisten gefreut?

Mich ärgern ungewünschte eMails sehr stark. Ich habe keine ausreichende Möglichkeit, mich davor zu schützen und muss sie also täglich manuell löschen.

Ich freue mich täglich über die Verfügbarkeit des Netzes – und dies überall. Jede Frage kann beantwortet, jede Neugier gestillt werden. Ich bin aber auch für unsere Patienten per Mail angenehm und für mich bequem erreichbar. Das möchte ich nicht mehr missen.

Welches „Problem“ (privat oder im Unternehmen) würdest Du gerne von einem Start-up gelöst bekommen?

Die Entwicklung einer Software-Assistierten Medizin, die aktuelle Leitlinien für die Erkrankungen abbildet und dabei real-life-Daten erzeugt wäre eine revolutionäre Aufgabe und Lösung. Hier sind wir bereits sehr weit gekommen, stecken aber nun ein wenig fest. Das wäre eine echte Herausforderung, um mit den Fließtexten in der Dokumentation aufzuhören. Wir könnten anhand der Daten und der Langzeitverläufe aber auch endlich Prädiktoren entwickeln, die eine Vorhersagewahrscheinlichkeit der Behandlungserfolge unter Berücksichtigung verschiedener Methoden realisierbar macht. Damit könnte sich jeder Betroffene mit seinen Symptomen gegenüber einer größeren Kohorte benchmarken und herausfinden, was ihm selbst am besten helfen könnte. Dies wäre eine wahrhafte Demokratisierung.

Wir könnten auch nicht-wirksame Verfahren identifizieren und von der Erstattung durch die Krankenkassen ausschließen. Damit würde jeder einzelne erhebliche Ressourcen heben, um sich eine individuelle Medizin – auch unter Berücksichtigung von nicht wirklich anerkannten Verfahren – leisten zu können.