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Interview mit Stefan Plöchinger – sueddeutsche.de

Stefan Plöchinger sueddeutsche.de
Foto: Conny Mirbach

Wer ist Stefan Plöchinger ? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.

SZ. Davor in dieser Reihenfolge Lokal- und Politikjournalist, Textchef und Chef vom Dienst bei verschiedenen Medien. Alles in allem noch knapp mehr Jahre Print als Online.

Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.

Spleen? Gut, andere würden es vielleicht so nennen: Ich bin fasziniert von großen Infrastrukturprojekten. Wenn Bahntrassen, Tunnel, Autobahnen, neue Stadtviertel, schöne Häuser, was auch immer gebaut werden, kann ich Stunden mit den Plänen verbringen und einen Urlaub schon mal um einen Tag verlängern, um eine besondere Zugstrecke zu fahren oder ein Neubauprojekt zu besichtigen.

Elevator Pitch! Was macht Eure Firma? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?

Superpower – ich weiß ja nicht. Auf Journalismus beziehe ich solche Managementausdrücke ungern. Wenn man schon eine solche Metaebene erreichen will, dann vielleicht die grundlegende, die staatsbürgerliche: Wir schaffen, wenn wir unsere Arbeit gut machen, die Informationsbasis einer aufgeklärten Demokratie. Dieses Ziel schaffen wir manchmal, und manchmal auch besser als andere. Die Aufgabe ist Verpflichtung, nicht nur für unsere Zeitung, sondern für Journalisten insgesamt, und das macht uns letztlich unverzichtbar für die Gesellschaft.

Apropos Superpower: Verrätst Du uns ein „Best Practice“ Beispiel Deiner Firma, wo ihr besonders erfolgreich wart?

Jahrelang habe ich von Kollegen gehört: Paid Content wird in Deutschland nicht funktionieren. Wir dagegen haben darauf vertraut, dass wir unseren Lesern wirklich Exklusives bieten, Journalismus, den sie woanders nicht so leicht bekommen, und dass dieser Journalismus auch den Lesern etwas wert ist. Jetzt haben wir vier Jahre ein Digital-Abo und mehr als ein halbes Jahr ein Bezahlmodell auch für unsere Nachrichtenseite, und die Bilanz passt: inzwischen mehr als 45.000 digitale Abonnenten, davon zwei Drittel Leser, die uns ausschließlich digital nutzen, zu einem Vollpreis von 29,99 Euro im Monat. Wir machen mit digitalen Abos fast so viel Umsatz wie mit digitalen Anzeigen. Das ist vermutlich Best Practice im deutschen Markt, entgegen aller „Das wird niemals klappen“-Warnungen.

Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?

Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:

Leser im Netz finden Informationen mit ein paar Klicks oder Touches. Aber wissen sie deshalb auch mehr? Viele Menschen schauen zunehmend auf technisch getriebenen Plattformen wie Facebook, Google und Twitter nach, was auf der Welt passiert, und das führt zu grenzwertigen Netzwerkeffekten. Die Leute informieren sich zunehmend in ihrer Filterblase. Auf Facebook bekommen sie Agitatoren gleichwertig neben Journalisten präsentiert. Die algorithmengetriebenen Portale heben Einzelgeschichten stärker hervor als eine umfassende Einordnung aktueller Themen, was die Meinungsbildung verzerrt, aber auch die Wahrnehmung von Medientiteln durch die Leser. Ein simples Beispiel: Wenn ein Leser von der SZ immer nur Panorama-Meldungen angezeigt bekommt, weil er besonders häufig damit interagiert, nimmt er die SZ als Panorama-Medium wahr. Übertragen Sie diesen Effekt auf Pegida, Syrien oder die Flüchtlingskrise: Die Folgen für unsere gesellschaftliche Kommunikation sind potentiell immens. Ich glaube nicht, dass wir uns schon ausreichend mit dieser Veränderung der Informationsarchitektur auseinandergesetzt haben.

Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:

Ich will darüber gar nicht mehr reden. Zu viele Entscheider in diesem Land sind ahnungslos, wie die digitale Wirtschaft funktioniert, wie grundlegend die digitale Disruption schon ist und wie sie sich noch entwickeln wird – auf allen Ebenen. Es ist kein Wunder, dass wir an den wirtschaftlichen Segnungen kaum partizipieren und die allermeisten Innovationen an anderen Orten entstehen, Innovationen, bei denen wir dann höchstens Nutznießer oder Lehrlinge sind.

Herausforderung für unseren Markt:

Nehmen Sie die Autobranche, in der deutsche Konzerne zu den Marktführern zählen. Wir müssen nicht mal über selbstfahrende Autos reden, schauen wir uns einfach die Integration von Smartphones in normale Kleinwagen an. Die Leute wollen im Zweifelsfall nicht ihr veraltetes Navi mit dem pixeligen Bildschirm nutzen, sondern Google Maps oder Apple Maps. Wie leicht wird ihnen das gemacht? Wie leicht ist es, mit Siri im Auto eine SMS zu beantworten, während man fährt? Es könnte so simpel und ablenkungsfrei sein, wie wenn man sich mit dem Beifahrer unterhält, wäre das Telefon nur schlauer ans Fahrzeug gekoppelt. Innovationen massenhaft verfügbar zu machen, dauert da ewig. Wieso?

Herausforderung für unsere Firma:

Die Antwort auf die gerade gestellte Frage kann ich mir in Teilen natürlich selbst geben. Auch uns bremst es ja, dass die technische Infrastruktur um uns herum so kompliziert und vielfältig geworden ist. Wir müssen heute natürlich über Journalismus auf Wearables und in TV-Apps nachdenken, während wir unsere existierenden Smartphone- und Tablet-Apps für immer mehr Bildschirmgrößen anpassen müssen, und während wir die meisten Anzeigenumsätze immer noch auf Desktop-Rechnern machen. Aber es hilft nichts, wer hier jetzt nicht mitkommt und sich für seine Marke Lösungen ausdenkt, die Leser überzeugen – im Zweifelsfall sogar vom Geldausgeben überzeugen –, der hat mittelfristig ein Existenzproblem.

Was hat Dich bisher am meisten „am Internet“ geärgert, was am meisten gefreut?

Nichts, und nichts. Ich habe mir angewöhnt, Dinge immer möglichst rational durchdringen zu wollen. Das Internet wiederum ist ein so großes Ding, dass es sehr viele Lebensbereiche umfasst, und umso wichtiger ist Rationalität statt Emotionalität beim Blick darauf.

Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…

einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst

Twitter-Timeline spicken, welchen Titeln ich so folge, denn mit Twitter wache ich auf, in der Timeline ist das Wichtigste also drin.

einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat 

TheAwl.com – eine gute grundlegende Auseinandersetzung mit dem neuen Netz, das eben weniger ein Netz vieler verschiedener Seiten ist als vielmehr eine Ansammlung von Systemen wie Facebook, Apple und Google, die die übrige digitale Welt in sich inkorporieren. Wie beeinflusst das die Zukunft des Journalismus? Lesen!

ein spannendes Buch, das Dich inspiriert hat

„Countdown To Zero Day“ – ein Buch über Stuxnet, den auf das iranische Atomprogramm angesetzten Computervirus, der Weltpolitik gemacht hat. Wer verstehen will, wie sich digitale Möglichkeiten inzwischen sogar in konkrete Sicherheitspolitik übersetzen lassen und dass man Software gut und gern als Waffengattung betrachten kann, wird hier viel lernen.

eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast 

Was mir wirklich Spaß macht, ist, wie sich der Zündfunk-Netzkongress in den vergangenen drei Jahren entwickelt hat, den die Bayern-2-Kollegen mit unserer bescheidenen Unterstützung hier in München ausrichten. Diese Stadt kann ein solches Nachdenk- und Inspirationstreffen brauchen.

das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit

Wunderlist, knapp vor Slack – wann immer ich eine Idee habe, kommt sie sofort in Wunderlist rein. Es ist das beste Mittel gegen Überlastungsvergesslichkeit. Und der größte Beitrag, den Zeit Online zu SZ.de geleistet hat, denn Jochen Wegner hat mir die App vor Urzeiten empfohlen.

Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?

Als Journalist hat man das Glück, zu den meisten Themen Expertise heranrecherchieren zu können und auch länger als einen Tag dafür brauchen brauchen zu dürfen – und dafür auch noch bezahlt zu werden. Da erübrigt sich die Frage in gewisser Weise: Das Schöne an unserem Beruf ist, dass wir immer wieder spannende Leute kennen lernen.