Wer ist Jürgen Rink? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.
eine Redaktion des Heise Medien Verlags in Hannover. Wir produzieren unter anderem die Zeitschrift c’t Fotografie, suchen nach neuen Veröffentlichungswegen für unseren Content und experimentieren mit neuen Themen.
Meine berufliche Karriere begann nach Physikstudium und Promotion im Ausland an verschiedenen Forschungseinrichtungen und Universitäten. Am Imperial College in London startete ich meine journalistischen Aktivitäten und merkte schnell, dass ich lieber über Physik schreibe, als selbst im Labor zu stehen. Wieder zurück in Deutschland lernte ich das journalistische Handwerk bei der Computerzeitschrift c’t und leitete dort das Ressort Mobile Computing.
Die c’t Fotografie, nun im sechsten Jahr, ist derzeit mein Lieblingskind, weil hier Technik, Kunst und Qualitätsjournalismus zusammenkommen, alles Themen, die mir wichtig sind und die mir viel Spaß bringen. Das Know-how, das ich mir durch die Beschäftigung mit Kunst und dem digitalen Wandel in der Gesellschaft erarbeitet habe, interessiert seit kurzem kulturelle Einrichtungen – die wurden auf mich aufmerksam, weil sie vor ganz ähnlichen Herausforderungen wie Verlage stehen. Ich halte Vorträge zu diesem Thema und ernte immer wieder erstaunte Reaktionen, wenn ich behaupte, dass der digitale Wandel erst der Anfang ist, denn die digitale Revolution in der Gesellschaft kommt erst noch. Die Technik dafür existiert bereits.
Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.
Ich bin in Sachen Fotografie und Medienwandel regelmäßig unterwegs. Dabei hangele ich mich nicht nur von Termin zu Termin, sondern achte darauf, dass ich die jeweilige Stadt kennenlerne. Ganz wichtig dabei: Der Besuch des örtlichen Comic-Ladens inklusive Kennenlernen der lokalen Szene. Neue Comics kommen jedoch nur dann ins Haus, wenn wieder Platz im Regal ist. Das führt zu einem regen Umsortieren, denn unter den Neuerscheinungen sind oft wahre Perlen, die ich unbedingt haben muss!
Elevator Pitch! Was macht Eure Firma? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?
Unser Selbstverständnis: Heise Medien ist das führende Medienhaus für IT-Journalismus. Uns zeichnet die Unabhängigkeit von Unternehmen aus, deren Produkte wir testen, über die wir berichten und die wir damit zuweilen gehörig ärgern. Wir haben uns über die Jahre eine derart große journalistische Glaubwürdigkeit aufgebaut, dass wir in der Öffentlichkeit und von anderen Medien als Instanz für verlässliche Information im IT-Bereich wahrgenommen werden. Dieses Alleinstellungsmerkmal ist unser Pfund.
Wir befinden uns mitten im Medienwandel, der jedem Verlag Beine macht, ob er will oder nicht. Anzeigenumsätze gehen zurück, der Aufmerksamkeitskuchen der Leser wird wegen der immer zahlreicheren Angebote kleiner und traditionelle Verkaufskanäle werden anders gewichtet. Wir nehmen die Herausforderungen auf, indem wir unbeirrt auf journalistische Qualität setzen und neue Produkte und Medienkanäle für unseren Content finden. Wir begreifen die digitale Welt als Chance, und folgen bewusst nicht dem Beispiel vieler anderer Verlage und Großverlage, die das Tafelsilber verkaufen, indem sie Redakteure auf die Straße setzen – und sich dann wundern, warum die Leser ausbleiben.
Apropos Superpower: Verrätst Du uns ein „Best Practice“ Beispiel Deiner Firma, wo ihr besonders erfolgreich wart?
Best practice am Beispiel von c’t Fotografie: Mitten im Medienwandel habe ich die Zeitschrift c’t Fotografie gegründet, die jetzt zu den großen drei Fotozeitschriften in Deutschland gehört. Der Weg dahin ist ein Beispiel dafür, wie man Marktveränderungen nutzt. Wir haben zunächst mit einem Sonderheft pro Jahr getestet, ob eine Fotozeitschrift von Heise bei den potenziellen Lesern ankommt. Natürlich half die Marke c’t dabei, wir mussten nicht bei Null beginnen.
Von Anfang an haben wir auf einen sehr hohen Copypreis gesetzt, zunächst 8,90 Euro pro Ausgabe, mittlerweile 9,90 Euro. Das macht uns unabhängig vom dahinsiechenden Anzeigenmarkt, denn der Großteil des Umsatzes kommt von den Lesern, nicht von Unternehmen. Das stellt uns für die Zukunft sehr gut auf, denn der Anzeigenmarkt ändert sich rasant und meiner Einschätzung nach so, dass journalistische Print- und Online-Produkte nicht die Gewinner sein werden.
Eine Zeitschrift für 9,90 Euro ist keine Mitnahmeware am Kiosk, wir müssen einen Gegenwert bieten. Das machen wir, indem wir die Themen im Heft ausführlicher und tiefgehender behandeln als die Konkurrenz: Die Artikel sind nicht selten 20 Seiten lang. Wenn wir einen Workshop Porträtfotografie oder die besten Tricks in Photoshop bringen, dann lässt das wenig Fragen offen, die Leser bekommen die geballte Ladung. In Zeiten des Häppchenjournalismus ist das unzeitgemäß, und mit diesem Alleinstellungsmerkmal haben wir Erfolg: c’t Fotografie erscheint alle zwei Monate und die verkaufte Auflage liegt bei 30.000 bis 40.000 je Ausgabe (nach IVW).
Was können wir daraus lernen? Es gibt einen Markt für hochpreisige journalistische Print-Produkte: Suchen Sie sich eine Luxusnische, in diesem Fall ist das die Fotografie, machen Sie sich unabhängig vom Anzeigenmarkt und setzen Sie auf Qualität. Ich bin der Überzeugung, dass Medienangebote in Zukunft nischiger werden. Der Aufwand dafür ist für die Verlage höher als bei Flaggschiffen wie Stern, Spiegel oder c’t, aber in der Nische lebt es sich gut und einigermaßen zukunftssicher.
www.twitter.com/heisefoto). Ein großer Teil des Contents, den wir produzieren, veraltet nur langsam, deshalb experimentieren wir mit Sonderheften der c’t Fotografie. Wo wir noch stärker werden müssen, ist der Bereich Live-Workshops und Webinare, das stärkt die Marke und schafft Präsenz.
Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?
Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:
Der digitale Wandel hat dazu geführt, dass es DIE Gesellschaft nicht mehr gibt, sie zersplittert in viele Bereiche. Die Politik hat darauf noch keine Antwort gefunden. Die Welt wird vielfältiger, bunter, das betrifft nahezu alle Bereiche, den einen klassischen Lebensweg gibt es nicht mehr. Dennoch agieren gesellschaftlich relevante Institutionen oft noch so, als ob die uniformierte Gesellschaft noch existiert. Andere Länder sind weiter: Finnland und Schweiz diskutieren über das bedingungslose Grundeinkommen, das die Grundversorgung jedes Einzelnen sicher stellen soll und prinzipiell jeden freier in seinen Entscheidungen macht, wie er leben will. Für die kreative Szene zum Beispiel ist das eine Riesenchance.
Die nächste große Herausforderung ist die digitale Revolution, die gerade beginnt:
Noch können wir uns der digitalen Welt entziehen, mit dem Internet der Dinge wird das nicht mehr möglich sein. Ein Internet ohne Menschen und nicht mehr nur für Menschen entsteht. Der prinzipiell mögliche Datenmissbrauch, wenn der IP-Zugang in Rollläden, Kleidung und Haushaltsgegenständen nach Hause funkt, ist gar nicht so wichtig, sondern, wie sich die Rolle des Menschen ändert. Inwieweit werden Menschen noch gebraucht, als Arbeitnehmer, als bewusst handelnde Konsumenten? Was halten wir für die Realität?
Wie stellt sich ein mittelständiger Verlag wie Heise Medien auf, angesichts einer Zukunft, die wir nicht kennen und auch kaum Vermutungen darüber anstellen können? Zum einen, indem wir starke Marken wie c’t zusammen mit den Kunden durch die disruptiven Zeiten lenken. Zum anderen, indem wir Luxusnischen bedienen, neben c’t Fotografie zum Beispiel mit Make:, ein Medienangebot für die Maker- und Hackerszene. Auch Make: entstand übrigens aus einem c’t-Sonderheft, es hieß zunächst c’t Hacks. Die Maker- und Upcycling-Szene ist in meinen Augen keine große gesellschaftliche Strömung, wie vielfach behauptet, sondern ein Beleg dafür, wie die Gesellschaft vielfältiger wird. Heise Medien wird aktiv nach solchen Strömungen suchen und Medienangebote dafür schaffen.
Weitere Herausforderung sind medienferne Unternehmen, die gute journalistische Produkte in den Markt bringen. Jahrzehnte lang war das Geschäftsmodell der meisten Medienhäuser, ihren Journalismus in Form von Anzeigen finanzieren zu lassen: Unternehmen sponsern also Journalismus. Hier gibt es einen Paradigmenwechsel: Konzerne wie Red Bull, Deutsche Bahn, Amazon leisten sich Redaktionen, die journalistische Produkte in Konkurrenz zu den Medienhäusern anbieten. Solche Unternehmen sponsern also Journalisten statt Journalismus und das schafft größere Risiken für die journalistische Unabhängigkeit. Vor ganz ähnlichen Schwierigkeiten stehen Recherchenetzwerke, die fast alle auf Geldgeber angewiesen sind.
Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:
In Deutschland sehe ich vor allem zwei Herausforderungen, das ist zum einen der Netzausbau, der im internationalen Vergleich nicht konkurrenzfähig ist und zum anderen der pädagogische Bereich. Die jüngeren Generationen sind nicht fit genug für die digitalen Herausforderungen. Sie nutzen die digitale Welt, verstehen sie aber nicht. Schulen und Lehrer sind derzeit nicht in der Lage, das dafür nötige Wissen zu vermitteln. Die Innovationsfähigkeit der Netzbranche hängt unmittelbar damit zusammen und da ist noch viel Luft nach oben.
Herausforderung für unseren Markt und unsere Firma:
Medienunternehmen wie Heise brauchen ein größeres Portfolio, um die Herausforderungen des Marktes erfolgreich zu meistern. Bisher habe ich nur den journalistischen Teil der Heise Gruppe beleuchtet. Das reicht nicht aus, um im Markt der Zukunft zu bestehen. Statt Anzeigen wollen Unternehmen heute Solutions mit dem gesamten Portfolio der Medienbranche von uns. Darauf reagieren wir mit Angeboten, ohne die journalistische Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen.
Was hat Dich bisher am meisten „am Internet“ geärgert, was am meisten gefreut?
Am meisten hat mich die Demokratisierung des Wissens gefreut: Jeder kann in kurzer Zeit zum Experten werden, und jedem, der Zugang zum Internet hat, steht ein riesiges Produktportfolio offen. Und ganz wichtig: User Generated Content, auch wenn viel Rauschen dabei ist.
Was ich mit Sorge sehe, ist der unkritische Umgang mit dem Internet. Der Spruch „Es steht alles im Internet, du musst es nur finden“, stammt aus den 90ern, als Facebook und Google noch nicht die Gatekeeper des Internet waren. IT-Konzerne bestimmen heute, was jeder einzelne sieht. Dessen sind sich zu wenige bewusst.
Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…
einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst
www.bjp-online.com).
einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat
www.zeit.de/karriere/2015-08/digitaler-wandel-zukunft-unternehmen-staaten)
ein spannendes Buch, das Dich inspiriert hat
www.vditz.de/meldung/bmbf-foresight-berichte-so-sieht-die-welt-im-jahr-2030-aus)
Und noch ein Buchtipp für alle, die sich von 1000 Seiten nicht abschrecken lassen: „Die Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss, eine Fundgrube für alle, die sich mit Interpretation von Kunst im gesellschaftlichen Kontext auseinandersetzen.
eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast
Dmexco 2015 in Köln zu besuchen und habe dort viel über digitales Marketing gelernt. Einiges war Bullshit-Bingo, anderes hat Ideen getriggert oder gibt neue Perspektiven: Sind Abos und Abonnenten, auf denen viele Hoffnungen der Verlage ruhen, ein Modell der Zukunft? Sprechen wir zeitgemäßer doch lieber von Partnerschaften statt von Abonnements – geben und nehmen statt Einbahnstraße. Ich liebe solch kleine Perspektiv-Shifts, die antriggern.
das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit
Der Google-Kalender ist für mich unverzichtbar und der Mail-Client Thunderbird, mit dem ich nicht nur meine (Mail-) Kommunikation erledige, sondern ihn auch als Ideenspeicher, Archiv und Adressdatenbank nutze.
Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?
Ich würde gerne mit einem Menschen zusammenarbeiten, dessen Beruf es ist, Gesellschaftsentwicklungen zu verstehen, vielleicht mit Hartmut Rosa?