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Interview mit Bernd Schumacher – 99pro.de

Bernd_Schumacher2Wer ist Bernd Schumacher? Bitte stell Dich doch mal kurz vor. Und damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch ein kleines persönliches Geheimnis von Dir.

Ich bin ein fast 55-jähriger Ausprobierer. Nach Philosophie- und Schauspielstudium und einer Sprecherausbildung Einstieg in die Medien, zunächst als Sprecher und Reporter, ab `97 selbstständig unterwegs auf der Suche nach den ultimativen Unterhaltungsformen und –formaten. Entdeckungen: Familienalltag als Format („we are family“, ProSieben, ab 2005), ein „Mädchen von nebenan“ als Formatierung für die Primetime bei VOX: Daniela Katzenberger in sieben Staffeln von 2010-14. Entwicklung einer eigenen Lizenz-Marke. Im April 2015 Ausstrahlung „Asternweg“, eine vierstündige Dokumentation zum Thema Armut, die am Samstagabend 8 % bei VOX holte, für alle eine Überraschung. Es ist eigentlich das Gegenteil von „Unterhaltung“.

Elevator Pitch! Was macht Eure Firma? Und vor allem: was macht ihr besser, was ist Euer USP?

Wir erzählen Menschen. Mit Respekt. Und das bedeutet in unserem Genre, den Protagonisten genauso (verletzlich, schwach, stark) zu zeigen, wie er ist. Das räumt schon im Entstehungsprozess mit Vor-Urteilen auf. Bei uns selbst. Das Erzähltempo ist langsam. Aber nur so teilt sich das Wesentliche mit. Wir lassen den Menschen Zeit, sich zu entwickeln, und wir geben dem Zuschauer die Zeit, die er braucht, um mitzufühlen, um wirklich zu verstehen. „Meldungen“ verschwinden. Menschen bleiben.

Was ist Eure interne “Secret Sauce”?

Wir können vorbehaltlos und vertrauensvoll zusammen arbeiten. In großer innerer Freiheit. Wir sind selbstbewusst. Als Team entstehen wir immer wieder neu, in der Realisierung einzigartiger Geschichten, in dem Bewusstsein, dass wir sie auf unsere eigene Art und Weise gemeinsam erzählen. Vom ersten Recherche-Anruf bis zur finalen Montage. Ich denke, wir sind stolz auf die Art, wie wir Fernsehen (er-)finden und realisieren.

Was genau ist Deine Rolle im Unternehmen, wo liegt Deine Expertise und “Superpower”?

Ich bin frei im Kopf, entdecke und sehe die Möglichkeiten. Das wirkt nicht immer inspirierend auf andere, oft verschreckend, dem eigenen Team und auch dem Kunden gegenüber. Ich bin dann oft voll überzeugt und ernte ein Lachen oder einen Schulterklopfer, mit den Worten „wirklich Bernd, das ist kein Format“. Aber das gehört dazu: Eine wirklich gute Idee, sagt Einstein, erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung völlig ausgeschlossen erscheint. Gelegentlich, wirklich in ganz seltenen Fällen, darf ich das – aus meiner Sicht – „große Neue“ auch umsetzen. Und wenn dann eine Formatfarbe auf Sendung geht, die man so noch nicht gesehen hat, und das sollte Fernsehen immer leisten, lädt mich das mit der nötigen Energie auf, um wieder völlig frei rumzuspinnen und auch wieder „Staub zu fressen“. Ja, ich imaginiere, was ein, zwei Jahre später hier Produktionsinhalt und –standard ist. Das ist mein Wert für das kleine Unternehmen, für unsere Kunden und für alle Menschen, die wir mit unseren Produktionen unterhalten.

Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein

Herausforderung für Gesellschaft/Staat:

An den Staat habe ich den einen Anspruch, dass er endlich Ernst macht mit der oft angekündigten „Transparenz“ in den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Die koppeln sich weit schneller von der jungen Generation ab als die privaten Anbieter, also sollten sie sich besser beraten lassen und sich stärker dem Markt der Angebote öffnen. Warum schreiben sie Sendeplätze nicht grundsätzlich öffentlich aus? Und informieren die Zuschauer über ihre Entscheidungen? Dasselbe betrifft ihre Strategien im Netz. Geheimniskrämereien statt Ausschreibungen und einen Wettbewerb der Besten…

Herausforderung für unseren Markt:

Die liegt darin, eigene Marken, die originär für`s lineare TV entwickelt werden, breit und vor allem digital aufzustellen, bestehende Netzwerke zu nutzen und – gemeinsam z.B. in der Allianz deutscher Film- und Fernsehproduzenten – die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dass der Erschaffer einer Marke diese auch langfristig selbst auswerten kann. Dies ist insbesondere in den Produktionen im Auftrag der privaten TV-Anbieter ein heiß umkämpftes Feld, da wird scharf geschossen.

Herausforderung für unsere Firma:

Wirklich offen zu bleiben für das, was Menschen, also Zuschauer/User in naher Zukunft suchen. Und Antworten zu finden und den Sendeanstalten zeitnah zu vermitteln, gerade bevor ein Thema oder eine Farbe offenkundig zum Trend wird. Vor-denken, nicht nach-laufen. Das versuche ich jeden Tag. Klingt viel einfacher, als es ist. Entscheidend für unseren Erfolg wird sein, ob es uns gelingt, nachhaltige Marken im Netz zu kreieren. Noch sind die Sender auf echte Marken-„Verlängerungen“ im Netz nicht wirklich scharf, investieren möchte man eher nicht (nicht im Bereich unserer Genres), aber das Grundinteresse ist natürlich geweckt.

Meine persönliche Herausforderung:

Ein guter Vater zu sein und in diesem Feld – wie im beruflichen – eine Vision zu erschaffen und Freiheit zu erleben und zu vermitteln, in der es sich zu leben lohnt. Und ich freue mich auf einen „Ausflug“ auf für mich (fast) jungfräuliches Terrain: Anfang September eröffne ich mit einem klasse Team ein „grünes Café“ in Leipzig.

Wie sieht Dein “digitales Workout” in der nächsten Zeit aus? In welchen Themenbereichen willst Du Dich oder würdest Dich gerne verbessern?

Vermarktungsmodelle zum Beispiel. Da wird noch viel passieren. Möglicherweise kommen über Eure Plattform ja auch strategische Partnerschaften zustande. Kooperation ist Zukunft. Inhalte und Erzählweisen brauchen neue Distributionswege. Und umgekehrt.

Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…

einen Blog, auf dem Du Dich zu Fachthemen gerne informierst (deutsch oder Englisch)

www.turi2.de

einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat (mit URL)

http://www.theeuropean.de/alexander-wallasch/10018-asternweg-eine-strasse-ohne-ausweg

ein spannendes Buch, das Dich für Dein Business inspiriert hat (das nicht unbedingt ein Business Buch sein muss)

Timm Thaler oder das verkaufte Lachen.

eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast (und was, bzw. von wem)

MIPCOM, Cannes

das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit

google 😉

Mit welchem Experten aus Deinem Fachgebiet würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum? (Oder von welchem Experten aus Deinem Fachgebiet hast Du bisher am meisten gelernt? Und was war das)

Aus Erfahrung kann ich sagen, es macht sehr großen Spaß, mit den Kollegen von VOX zu arbeiten, da entsteht jedes Mal etwas Greifbares. Und oft etwas wirklich Neues. Ein magischer Flur im RTL-Baukasten-System. Und Kai Sturm persönlich ist einfach auch ein Visionär, ein Mensch, der aus dem Bauch heraus versteht, was da demnächst ablaufen könnte im TV.

John de Mol hat mich gefordert, er hat mir in einer einzigen, sehr intensiven Begegnung erklärt, wo ich stehe, er hat mir aufgezeigt, wo die Reise hingehen MUSS, um im Markt zu bestehen. Davon profitiere ich bis heute. Zuhören war nicht sein Ding, und so kam es leider nicht zur Kooperation. Kann ja noch werden. Wäre reizvoll.

Auch Jim Milio aus L.A. („The dog whisperer“) hat mir gezeigt, wie sich ein Markt erobern lässt und wie Du mit einer Marke arbeiten kannst, wenn Du über einen internationalen Hit verfügst. Also arbeite ich daran. Danke.