Wer ist Markus Lahrmann? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.
Caritas in NRW, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der Caritas auf Landesebene NRW.
Verheiratet, drei Kinder, darunter Zwillinge, mit denen ich ein Jahr Erziehungsurlaub genossen habe (1999).
Mitglied in der Landesmedienkommission NRW (entsandt von den Wohlfahrtsverbänden), Vorstandsmitglied der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW.
Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.
Den Dingen auf den Grund gehen.
Wenn ich eine Geschichte lese, will ich den Spin dahinter erkennen: Wem nützt dieser Dreh? Warum sagt der jetzt sowas und was meint der wirklich? Was hat er davon, wenn er die Geschichte so verkauft? …
Den Dingen auf den Grund gehen erstreckt sich auch auf Alltagsgegenstände: wie funktioniert mein Staubsauger? Wie kann ich unseren Trockner reparieren? Warum leckt die Kondensatpumpe an der Heizung? Wie muss ich meinen Router konfigurieren, damit mein jüngster Sohn nicht Tag und Nacht im Netz hängt?
Elevator Pitch! Was macht Eure Firma? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?
Caritas: Aktiv und engagiert in Sachen Nächstenliebe (übrigens weltweit). Professionell in sozialen Dienstleistungen (das, womit wir alle im Laufe unseres Leben irgendwie in Kontakt kommen): das Spektrum der Leistungen reicht vom Kindergarten über Schulen zu Ausbildungsstätten, über Beratungsstellen für suchtkranke, pflegebedürftige oder behinderte Menschen, alte und kranke Menschen, von der Erziehungsberatungsstelle bis zum Krankenhaus. Caritas heißt auch: sich einsetzen für Schwache und Benachteiligte, Stimme sein für die Armen und Ausgegrenzten.
Die Caritas in Deutschland hat über 590.000 hauptberufliche Mitarbeiter, die in rund 25.000 Diensten und Einrichtungen arbeiten. Aber: Wir sind kein Konzern, denn unzählige Einheiten sind rechtlich selbständig und finanziell autonom. Der Tanker als Ganzes ist manchmal unglaublich schwerfällig, trotzt aber auch den härtesten Stürmen und sogar Monster-Wellen. Die unzähligen kleinen Beiboote sind oft flink und neugierig und auch sehr innovativ.
Caritas in Deutschland sind aber auch bis zu 500.000 Ehrenamtliche, die sich sozial engagieren. So ein Verband mit einer solchen Struktur ist eine besondere Herausforderung für jeden Verantwortlichen in jedweder Kommunikationsabteilung. (Wenn jeder kommuniziert, was und wie er will, hat es strategische Markenkommunikation schwer.)
Wie lebt ihr Digitalisierung in Eurem Unternehmen? In welchem Bereich habt ihr Digitalisierung erfolgreich um- oder eingesetzt?
Die Digitalisierung hat massiv die Kommunikationsabteilungen in der Caritas beeinflusst. Wenn man täglich mit Journalisten zu tun hat, ist bald klar: Faxe ausdrucken ist sowas von gestern…
Auf die Social-Media-Revolution hat die Caritas vielfältig reagiert: mit öffentlicher Diskussion von Social-Media-Guidelines, mit dauerhaften Präsenzen auf vielen Channels, mit Kampagnen-Blogs, mit Social-Media-gestützten Fachkräfte-Kampagnen, mit einem bundesweiten Social-Media-Projekt und lokalen Labs. Überall wird experimentiert, etabliert, diskutiert.
Es gibt etablierte Formen der sozialen Online-Beratung, es gibt Schwangerschafts-Beratung bei Facebook und Gewalt-Beratung im Chat, es gibt digitale Freiwilligen-Börsen und jede Menge andere tolle Beispiele. Und dennoch: die Herausforderungen sind noch ungleich größer als unsere derzeitigen Antworten und Projekte. Das liegt an Struktur und Finanzierung des sozialen Sektors.
Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?
Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:
Der öffentliche Diskurs ist massiv gefährdet durch Aufhebung der Privatheit, Hatespeech und digitale Brandstiftung. Kommunikative Vernunft und der Austausch der besten Argumente ist die Grundlage von Demokratie. Die paar Systemgegner, die Demokratie schon immer unterlaufen wollen, halten wir aus. Aber die vielen Trittbrettsurfer, die Dummies, Pöbler und Trolle vergiften das Klima nachhaltig und damit den öffentlichen Diskurs.
Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:
Wenn Daten der Rohstoff des 21. Jahrhunderts sind, warum überlassen wir Konsumenten sie einfach so den großen Vier (Google, Facebook, Amazon und Apple)? Wir sind dabei unsere Seele und unsere Identität zu verschleudern – freiwillig und viel zu billig.
Netzneutralität wird politisch diskutiert, aber auch die Wirtschaft braucht den chancengleichen Zugang (auch für kleine Start-Ups) zum Markt. Das wird nur europaweit zu regeln sein – und das ist gerade nicht ermutigend.
Wir müssen dringend diskutieren über die Rolle von Intermediären und virtuellen Plattformen. Die etablierten Medien werden sowas von abschmieren, wenn sie nicht endlich eine Antwort finden auf den Verlust ihrer Gatekeeper-Funktion. Natürlich braucht es auch da Regulierung, um Chancengleichheit und Vielfalt zu sichern.
Der blinde Glaube an den Algorithmus macht mich wütend.
Herausforderung für unseren Markt:
Die Digitalisierung wird massiv Arbeitsplätze kosten, vor allem in der Industrie. Soziale Dienstleistungen sind meist personengebunden, bauen auf Beziehungen zwischen Menschen auf. Überall da, wo es auch bei uns um automatisierte Abläufe geht, also Verwaltung, Dokumentation, auch Kommunikation, wird die Digitalisierung Arbeitsabläufe verändern. Denkbar ist auch der Einsatz von Pflegerobotern, von Maschinen, die Verhalten von Patienten und Klienten beeinflussen und steuern.
Die große Herausforderung wird dann sein, die effiziente Zusammenarbeit von Technikern, IT-Leuten und beispielswiese Pflegekräften, Sozialarbeitern, Ärzten etc. zu managen. Und dann gilt es, die Schnittstelle zum Menschen auf der anderen Seite zu gestalten: Wir erleben gerade die großen Probleme, die ein erfolgreicher Hackerangriff auf die IT von Krankenhäusern nach sich zieht.
Ein anderes Beispiel: Der Caritas-Claim lautet „Not sehen und Handeln.“ Wir helfen Menschen , die in Not sind, unabhängig von ihrer Religion, ihrem Alter, ihrem Geschlecht. Im Zeitalter des Algorithmus gibt es inzwischen Tools, die auf Basis von Informationen aus dem Internet Asylbewerbern eine Wahrscheinlichkeit dafür zuweist, dass sie Terroristen sind und nicht ins Land gelassen werden sollten. Die Diskussion, darüber, wer welchen Algorithmus nach welchen Standards programmiert und wer dann kontrolliert beginnt erst. Das sind zutiefst ethische Fragen.
Nacktbilder werden bei Facebook gelöscht, Nazisymbole hingegen nicht unbedingt. Wo sind da die roten Linien? Es geht um das Zusammenleben in der Gesellschaft – und das alles sind dann Fragen, die auch den Sozialarbeiter betreffen, der sich um Menschen kümmert.
Herausforderung für unsere Firma:
Wir brauchen mehr Innovationsmanagement im Hinblick auf Digitalisierung. Wir müssen mehr investieren und nicht warten bis andere modernisieren und billiger sind. Wir brauchen mehr Labs, kleine Werkstätten für digitale Entwicklung im großen Sozialmarkt.
Wir müssen aber auch Angebote entwickeln für die Verlierer der digitalen Spaltung. Neue Phänomene wie Internet-Sucht, Online-Spielsucht etc. gilt es wahrzunehmen und zu heilen.
Was hat Dich bisher am meisten „am Internet“ geärgert, was am meisten gefreut?
Jetzt ganz persönlich: Am „Internet“ ärgern mich meist technische Unzulänglichkeiten: Also langsame Leitungen, schlechte Software, überladene Updates, Viren und der ganze Mist, vor dem man sich immer aufwendiger schützen muss. Was dazu führt, dass sich die digitale Spaltung inzwischen Leuten, die es können und Leuten, die es nicht hinkriegen, vertieft.
Mich freut hingegen die unglaubliche Vielfalt an Wissen und an Recherche-Möglichkeiten. Auch die Selbstlosigkeit und Freude, mit der gute Leute ihr Wissen und ihre Erfahrungen teilen, finde ich toll.
Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…
einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst
Als Fachmagazin: Derzeit die Medienkorrespondenz (MK; früher: Funkkorrespondenz), eine deutsche Medienfachzeitschrift, die seit 1953 herausgegeben wird. In der Medienkorrespondenz enthalten sind Artikel und Meldungen über Medienpolitik und Rundfunkanstalten, Kritiken und Nachrichten über Hörfunk- und Fernsehsendungen. Nicht nur pointiert geschrieben, ausführlich auf einem hohem Niveau argumentierend, sondern auch sehr reflektiert.
netzpolitik.org.
einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat
Shoshana Zuboff: „Wie wir Googles Sklaven wurden“. Erschienen am 5.3.2016 im Feuilleton der FAZ. (Shoshana Zuboff ist emeritierte Charles-Edward-Wilson-Professorin der Harvard Business School. Ihr Buch „Master or Slave: The Fight for the Soul of Our Information Civilization“ wird im kommenden Jahr erscheinen.)
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-digital-debatte/shoshana-zuboff-googles-ueberwachungskapitalismus-14101816.html
ein spannendes Buch, das Dich inspiriert hat
„The Circle“ von Dave Eggers fand ich literarisch schwach. Trotzdem man muss ihm zugestehen, dass er das Problem bis zum Ende durchdekliniert. Dass er dabei auf ein Wohlfühl-Ende verzichtet, setzt einen Stachel, der bleibt. Das Buch ist wichtig, um eine Idee vom großen Ganzen zu bekommen.
Wer es literarisch anspruchsvoller mag: „Bleeding Edge“ von Großmeister Thomas Pynchon. Da ist (fast) alles drin, was Amerikas Gesellschaft in digitalen Zeiten ausmacht (Social Media fehlt allerdings weitgehend).
eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast
Ich war 2015 zum ersten Mal auf der re:publica in Berlin und fand es großartig. Weil hier in meinem Berufsfeld, nämlich der Kommunikation, vor Ort nicht nur auf hohem Niveau reflektiert und diskutiert wurde, sondern das ganze auch auf den zahlreichen digitalen Kanälen weitergespielt und vervielfältigt wurde.
das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit
Ich bin tatsächlich Anhänger der E-Mail. (Hängt wahrscheinlich mit meinem Alter zusammen.)
Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?
Ich würde gerne mal im Silicon Valley arbeiten – aber nicht einen Tag, sondern mindestens ein halbes Jahr. Mit welchem Experten, ist dann fast egal, Hauptsache, es geht um Netzwirtschaft. Mir interessiert die Haltung, dieser Erfindergeist, der Wagemut, die Leichtigkeit, …