interview

Interview mit Dr. Alexander Görlach – The European

Dr. Alexander Görlach The European
Foto: Lars Mensel für The European

Wer ist Dr. Alexander Görlach? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.

The European. Im Moment bin ich für ein Jahr als Gastwissenschaftler an der US-Universität Harvard und forsche zur Zukunft von Säkularismus, also wie Religion, Politik und Öffentlichkeit miteinander klar kommen. Das habe ich mir nach sechs Jahren Durchpowern und einem anstrengenden Exitmarathon auch verdient.

Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.

Ich spiele die ganze Zeit an meinem Bart, weswegen ich ernsthaft überlege, ihn abzumähen.

Elevator Pitch! Was macht Eure Firma? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?

The European ist das Debatten-Magazin. Wir haben vor sechs Jahren begonnen, dabei das Internet und Social Media, anders als klassische Häuser seinerzeit, ernst genommen und damit gearbeitet. Nach drei Jahren kam dann ein vierteljährlich erscheinendes Print dazu. Später Events wie eine Konzertreihe. Es hat mega viel Freude bereitet, war aber auch viel Arbeit, eine glaubwürdige und relevante journalistische Marke aufzubauen. Darin waren wir super, das muss uns erst mal eine Neugründung nachmachen.

Apropos Superpower: Welches Best Practice Beispiel in Deiner Branche hat Dich besonders fasziniert und warum?

Ich bin sehr beeindruckt davon, wie hier in den USA neuere Medien-Unternehmen wie Mic, Vox, Vice, BuzzFeed und ihre Investoren fest davon überzeugt sind, dass Medien auch in Zukunft noch ein Geschäftsmodell haben werden. Diese Begeisterung gibt es nicht in Deutschland, wo man sich eher jahrelang am Leistungsschutz abarbeitet, weil man die Gegenwart mit ihren digitalen Möglichkeiten doof findet. Nun schauen deutsche Verlage nicht umsonst im US-amerikanischen Markt wo sie investieren und noch mit auf den Zug aufspringen können, der in Deutschland noch nicht mal den Bahnhof verlassen hat.

Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?

Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:

Die Rahmenbedingungen für die Digitalwirtschaft werden durch den zuständigen EU-Kommissar Günther Oettinger zunehmend verschlechtert. Auch auf der Ebene des EU-Mitgliedsstaates Deutschland ist das politische Personal eher eine Bedrohung für die Start-Up-Branche als eine Chance: der Wirtschaftsminister, der Justizminister und der Finanzminister haben alle auf ihre je eigene Weise das Internet nicht verstanden und ziehen falsche Schlüsse aus falschen Annahmen.

Herausforderung für unseren Markt:

Wie in vielen Bereichen der Start-Up-Industrie muss Deutschland auch in Sachen Medien eine Schippe draufpacken. Es müsste eigentlich auf einem so großen Medienmarkt wie dem deutschsprachigen viel mehr neue Angebote geben wie The European oder, nehmen wir etwas anderes, Edition F, ein Frauen-Karriere-und-Berufswelt-Magazin. Gibt es aber nicht. Und anderenorts werden englischsprachige Produkte aufgebaut, die dann, wie die Huffington Post, in einer landessprachigen Version in Deutschland an den Start gehen.

Herausforderung für unsere Firma:

Guten Journalismus zu machen ist zu einer großen Herausforderung geworden angesichts unberechtigter „Lügenpresse“-Vorwürfen und Gewalt gegen JournalistInnen. In Deutschland ist über die vergangenen Jahre Schritt für Schritt der Ton verroht und nunmehr ganz entgleist. Die geistigen Brandstifter kann man zur Verdeutlichung an einen Zeitstrahl pappen und da wird man merken, dass es von Sarrazins „Türken-Gen“ bis hin zu Pirinccis KZ-Ausfall kein weiter Weg ist. Die Erosion der Akzeptanz der demokratischen Institutionen, zu denen die Medien ohne Fragen gehören, von den Rändern in die Mitte der Gesellschaft hinein, ist ungebremst und Gott allein weiß, wo das noch hinführen wird.

Was hat Dich bisher am meisten „am Internet“ geärgert, was am meisten gefreut?

Am Internet freut mich vor allem, dass es da ist. Ich bin in einer Zeit geboren, in der man noch mit Straßenkarten in den Urlaub gefahren ist, den man vorher in einem Reisebüro gebucht hatte. Das war damals zeitintensiv, fehleranfällig und daher nervenaufreibend.

Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…

einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst

http://blogs.ssrc.org/tif/ The Immanent Frame ist ein Blog in den USA, der sich mit meinem Forschungsschwerpunkt Säkularismus, Politik und Religion beschäftigt.

einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat

http://www.huffingtonpost.com/julian-baggini/irony-western-individualism_b_8630696.html Hier geht es um den Personenbegriff in Europa und in Asien. Also ein Vergleich im Spiel des „Wer bin ich und wenn ja wie viele“.

ein spannendes Buch, das Dich inspiriert hat

Ich kann mich nicht entscheiden welches der beiden, also nenne ich die zwei Favoriten: Elias Canetti „Masse und Macht“ und David Graeber „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“.

eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast

Google Newsgeist, weil dort Journalistinnen und Journalisten aus vielen Ländern zusammen kommen und gemeinsam kreativ über Fragen sprechen wollen, die unsere Branche bewegt.

Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum? Oder von welchem Experten aus Deinem Fachgebiet hast Du bisher am meisten gelernt? Und was war das?

Ich schätze Richard Gutjahr, Nico Lumma und Wolfgang Gründinger sehr. Jeder von ihnen bringt an der Schnittstelle von Journalismus, Inhalten und Internet eigene Schwerpunkte, Können und Erfolge mit, so dass ein Gespräch mit einem der genannten niemals Zeitverschwendung ist. Im Parlamentsbetrieb spreche ich über unsere Branche am liebsten mit Thomas Jarzombek von der CDU, Dorothee Bär von der CSU, Lars Klingbeil von der SPD und Konstantin von Notz von den Grünen. Sie alle haben von dem Internet und der Digitalwirtschaft sehr viel verstanden. Von daher gilt auch hier, dass ein Gespräch immer ein Gewinn bedeutet.