Wer ist Dr. Jörg F. Maas? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.
Mein Herz schlägt schon immer für die Bildung. Bevor ich 2011 Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen in Mainz geworden bin, war ich geschäftsführender Vorstand der Stiftung Jugend forscht in Hamburg. Davor durfte ich als Europakoordinator der Bill & Melinda Gates Stiftung in Seattle und als Geschäftsführer der Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) arbeiten. Ich hatte mein ganzes Berufsleben über die Chance, tolle Menschen mit großen Visionen zu treffen und von Ihnen lernen zu können.
Jede Woche bin ich im Namen der Leseförderung in ganz Deutschland unterwegs. Treffe unsere bisherigen und zukünftigen Partner und begeistere sie für das Thema Bildung, Lesen und Vorlesen und habe damit meinen Traumjob gefunden. Meine Erfahrungen gebe ich an meine zwei Töchter, die übrigens beide gerne lesen, weiter.
Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.
Ich bin sehr umtriebig, treffe viele Menschen und erprobe gerne neue Ideen. Frei nach dem Motto „Was ist gut ist, kommt wieder“, wird man mich dann häufig einfach nicht mehr los. Davon können nicht nur meine Mitarbeiter ein Lied singen…
Elevator Pitch! Was macht EureStiftung? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?
Die Stiftung Lesen fördert Lesekompetenz und Zugänge zum Lesen für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen in allen Medien. Angesichts von 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten im erwebsfähigen Alter in Deutschland und der bekannten, mittelmäßigen, Ergebnisse der PISA-Studien eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aktuell führen wir über 100 Programme und Projekte bundesweit durch.
Und da liegt auch unsere Stärke und Superpower: Wir vernetzen in Deutschland alle Akteure rund ums Vorlesen und Lesen. Das reicht von Kitas, Grundschulen und weiterführenden Schulen über Bibliotheken und Buchhandlungen bis hin zu Unternehmen und Institutionen aller Art. Das können ganz klassisch Medienhäuser sein, aber auch Software-Unternehmen, Discounter, Wirtschaftsverbände, die Politik und und und. Die Lesekompetenz der heutigen Kinder und Jugendlichen geht mit Blick auf die Zukunft und den Arbeitsmarkt jeden an!
Apropos Superpower: Verrätst Du uns ein „Best Practice“ Beispiel Deiner Organisation, wo ihr besonders erfolgreich wart? Was waren Deiner Meinung nach die Erfolgsfaktoren?
Echt, nur eins? Das Projekt „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“ gehört sicher dazu.
Vorbild für Lesestart ist die britische Kampagne „Bookstart“. Diese geht auf die Idee zurück, Eltern zu Partnern in der Leseförderung ihrer Kinder zu machen. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert und von der Stiftung Lesen durchgeführt.
Insgesamt werden in der achtjährigen Projektlaufzeit über 4,5 Millionen Lesestart-Sets an Eltern und Kindern ausgegeben. Mit den über 5.000 Kinderärzten (das sind übrigens fast alle!) und den über 5.000 Bibliotheken und allen Grundschulen ist dies ein immenses Netzwerk, das innerhalb von acht Jahren drei Jahrgängen von Kindern eine „Rundum-Impfung“ im Lesen gibt.
So funktioniert´s:
Von November 2011 bis Ende 2013 wurden in mehr als 5.000 teilnehmenden Kinderarztpraxen bei der U6 Lesestart-Sets an Eltern mit einjährigen Kindern überreicht. Erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleituntersuchung zeigen, dass sich fast alle Eltern, die die Lesestart-Sets erhalten haben, mit den Materialien beschäftigen. Zwei Drittel davon sogar sehr intensiv.
Das zweite der drei Lesestart-Sets können sich Eltern und Kinder aktuell in über 5.000 örtlichen Bibliotheken in ganz Deutschland abholen. Zur Vorbereitung auf diese, auf drei Jahre angelegte, Projektphase haben wir speziell für Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter eine Lesestart-Webinar-Reihe gestartet, die von Oktober 2013 bis März 2014 stattfand. Die darin behandelten Themen reichten von Buchempfehlungen über die Netzwerkpflege bis hin zur Vorlesepraxis und Elternansprache. Gemessen an dem positiven Feedback hierzu aus den Bibliotheken, aber auch der steten und positiven Berichterstattung in der Presse zur Kooperation zeigt sich meines Erachtens sehr deutlich, wie positiv eine solch projektbezogene Vernetzung für alle Beteiligten sein kann. Ab 2016 gibt es ein drittes Lesestart-Set für alle ABC-Schützen in allen Grund- und Förderschulen.
Wie lebt ihr Digitalisierung in Eurem Unternehmen? In welchem Bereich habt ihr Digitalisierung erfolgreich um- oder eingesetzt?
Das Thema Digitalisierung ist für uns natürlich besonders in Hinsicht auf unsere Zielgruppen interessant. Denn eines lässt sich sicher nicht übersehen: Das Lesen mit und in den digitalen Medien gehört mittlerweile zum Alltag vieler Kinder und Jugendlicher dazu. Die informieren sich auf Wikipedia, lesen Nachrichten auf WhatsApp oder entdecken interaktive Geschichten-Apps. Bei all diesen Aktivitäten ist Lesekompetenz gefragt.
Um die Potenziale digitaler Medien für die Leseförderung noch besser zu nutzen, hat die Stiftung Lesen einen eigenen Entwicklungsbereich „Digitales Lesen“ aufgebaut. Der Bereich greift aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung auf, entwickelt neue Modell- und Forschungsprojekte rund um den Einsatz digitaler Medien in der Leseförderung und bietet allen in der Leseförderung Aktiven Unterstützung, zum Beispiel in Form von Webinaren oder entsprechenden Lese- und Medienempfehlungen, zu Kinderbuch-Apps und spannende Enhanced E-Books und Tipps und Tricks, wie Sie mit digitalen Lesemedien Kinder und Jugendliche zum Lesen motivieren können.
Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, EureStiftung, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?
Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:
In Deutschland leben 7,5 Millionen funktionale Analphabeten im erwerbsfähigen Alter, rund 14,5 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland haben Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Die Herausforderung besteht darin, dass wir verhindern müssen, dass sich diese Zahlen von Generation zu Generation wiederholen. Jeder Jahrgang muss also eine Art „Grundimpfung für das Lesen“ erhalten, die alle Eltern und Kleinkindern erreicht. Hier hapert es in vielen Fällen an einer nachhaltigen Finanzierung. Daher sind wir als Stiftung auf Unendlichkeit angelegt, um dieser Herausforderung nachhaltig zu begegnen.
Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:
Auch hier ist es wieder der Blick auf die Kinder und Jugendlichen der für uns von Bedeutung ist. Die Stiftung Lesen tritt für eine Gleichwertigkeit aller Medien ein und zeigt sich insbesondere gegenüber den digitalen Medien im Allgemeinen und den digitalen Lesemedien im Besonderen offen. Häufig wird „Lesenkönnen“ nur auf Printprodukte wie Bücher und Zeitschriften bezogen, aber heute spielt für Kinder und Jugendliche das digitale Lesen und damit auch die Medienkompetenz eine große Rolle. Aus der Schule sind Computer und Internet nicht mehr wegzudenken und in der Freizeit gehen circa 60 Prozent der digitalen Aktivitäten von Jugendlichen mit Lesen einher. Das bedeutet auch, dass die Lesekompetenz mehr denn je eine Schlüsselkompetenz ist, um an Bildung teilzuhaben, Informationen zu bewerten – Stichwort „Informationskompetenz“ -, zu kommunizieren und die Gesellschaft aktiv mitgestalten zu können.
Um Chancengleichheit für Bildung jeden Einzelnen und damit in der Folge auch für den Beruf und in der Wirtschaft zu schaffen, realisiert die Stiftung Lesen niedrigschwellige Beratungs- und Projektangebote, die eine Kompetenzbildung für alle Zielgruppen ermöglichen – familiär, schulisch und außerschulisch.
Herausforderung für unseren Markt:
Alle Arbeitgeber brauchen Fach- und Arbeitskräfte, die über Lese- und Medienkompetenz verfügen. Wir müssen das emotionale Committment und Verständnis für die Relevanz von Leseförderung, das bei vielen Unternehmen vorhanden ist, auch in konkrete Projekte und Aktionen umsetzen, um die Förderung von Lesen und Vorlesen weiter verfolgen zu können.
Herausforderung für unsereStiftung:
Immer up-to-date sein und aktuelle Entwicklungen im Bereich Medien, Apps, Gaming etc., für die Kinder sich interessieren, aufzugreifen, auf Entwicklungen zu reagieren, diese einzuordnen, auf unsere Programme und Projekte anzuwenden und natürlich selber weiter zu forschen. Das bleibt sicher spannend.
Was hat Dich bisher am meisten am Internet geärgert, was am meisten gefreut?
Geärgert? Da fällt mir gerade nichts ein. Für mich ist es ein großer Vorteil, dass wir jeden Tag Kontakt per Mail, Skype, Twitter, etc… mit den Kollegen aus dem Inland und Ausland aufnehmen können. Vernetzung ohne Internet ist nicht mehr denkbar.
Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…
einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst
Da bin ich eher breit aufgestellt und kann gar keinen einzelnen nennen. Besonders interessieren mich Bildungsthemen und besonders Zugänge zu Bildung, Non-Profit-Management und die Frage, wie wir immer besser werden können.
Die Harvard Business Review ist eine Managementzeitschrift, deren Input mir regelmäßig neue Erkenntnisse liefert.
einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat
Nicht mehr ganz neu: Das Interview mit James Heckman, Wirtschaftnobelpreisträger, zur Relevanz frühkindlicher Bildung für die Ökonomie:
http://www.zeit.de/2013/26/fruehfoerderung-james-heckman
ein spannendes Buch, das Dich für Dein Business inspiriert hat
Michael Porter: Competitive Strategy
Frank Schirrmacher: Payback
das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit
Ich bin unter der Woche sehr viel unterwegs. Ohne Smartphone und Tablet wäre ich nicht mehr handlungsfähig – den Kollegen wäre das sicher manchmal ganz angenehm, wenn ich nicht immer online wäre…
Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?
Bill Gates war ein besonderer Visionär, von dem ich gelernt habe, dass nichts unmöglich ist – wenn man es denn wirklich will und immer an der Idee „dran“ bleibt!
Geprägt und inspiriert haben mich auch Michael Porter, den ich in Harvard traf, und Jerry Porras aus Stanford, dessen Studie mit Jim Collins dazu, wie ein hervorragendes Unternehmen oder Organisation seine Performance über Jahre hinweg halten kann, jedem Manager bekannt sein sollte.