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Interview mit Ronald Daedalus Vogel – Charakter Portraits

Ronald Daedalus Vogel Charakter PortraitsWer ist Ronald Daedalus Vogel? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.

Ich bin Fotograf, Mediendesigner und digitaler Boheme. Aufgewachsen mit dem Heimcomputer in den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts, durch Informatikstudium
und Kunstbegeisterung geformt, arbeite ich heute selbstständig als Fotograf und Mediendesigner auf einem alten Jugendstil-Hof bei Bremen.
Bereits in den frühen Neunziger Jahren habe ich die wohl erste digitale Kunst-Galerie in Deutschland betrieben. Mit Hilfe eines Apple Macintosh und der damals führenden BBS- Software FirstClass habe ich mit Freunden verschiedene Künstler aus dem Norddeutschen Raum ausgestellt. Beim Vorläufer des Internet konnte man sich per Modem und speziellem Client bei einer Handvoll Anbietern einwählen. Der FirstClass-Client für den Mac war damals der einzige, der komfortabel Fenster mit Bildern darstellen konnte. So haben wir Künstler wie Norbert Schwontkowski oder Harald Falkenhagen einem – zugegebenermaßen kleinen Publikum vorstellen können. Heute erzeuge ich als Künstler selber Werke: Ich bin ein Fotograf, der sich auf Portraits von Menschen spezialisiert hat, die möglichst „reif“ für eine expressive Darstellung ihrer Physiognomie sind.

www.daedalus-v.de

Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.

In der Kunst mag ich am liebsten „kaputte Dinge“, also solche, die nicht perfekt sind und einen Bruch oder Makel aufweisen. Fotos von glatt retuschierten Menschen ekeln mich an. Der Grund liegt darin, dass glatte und schöne Gegenstände in der Welt keine Geschichte erzählen, sondern austauschbar sind und aus sich selbst heraus keine Aussage besitzen. Kitsch hat diese Eigenschaften auch.

Elevator Pitch! Was macht Eure Firma? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?

Auf der Suche nach einer fotografischen Identität habe ich Innenstädte, Landschaften und Insekten fotografiert; alles ganz nett, aber wenig bewegend. F.C. Gundlach hat einmal gesagt: „Das Gesicht ist immer noch die interessanteste Landschaft der Welt“. Erst mit Menschen vor der Linse – ganz nah und ohne  Make-Up – wurde es für mich interessant und ich habe dabei entdeckt, dass kein anderes Sujet mehr Emotionen hervorruft, als die Portraitfotografie. Damit klar wird, dass ich kein Beauty shoote, nenne ich meine Arbeit „Charakterfotografie“ oder „Charakterportraits“. Es geht darum den Menschen so abzubilden, dass das Foto den „unbeobachteten Moment seiner selbst“ darstellt, frei von Pose und dem Sich-Aufstellen vor der Kamera.

Inzwischen kommen die Modelle von weit her angereist, also habe ich wohl ein Alleinstellungsmerkmal, welches man beim gemeinen Stadtteilfotografen nicht findet. Im Gegenzug nehme ich mir die Freiheit heraus Modelle, die zu jung sind und noch keine „Geschichte“ in ihrer Physiognomie zeigen, abzulehnen: Menschen unter 30 kommen mir nicht mehr vor die Kamera, selten sind hier für mich brauchbare Gesichter zu finden.

Apropos Superpower: Welches Best Practice Beispiel in Deiner Branche hat Dich besonders fasziniert und warum?

Bei zeitgenössischen Fotografen begeistert mich Martin Schoeller sehr. Er hat vor Jahren zu Recht große Erfolge mit drastischen Portraits von Obama, Clooney oder Lynch gefeiert. Für gute Ergebnisse muss man keine Celebrities fotografieren, es hilft natürlich der eigenen Reputation und die Betrachter haben eine stärkere Identifikation. Schoeller hat auch dämliche Portraits gemacht, indem er den Modellen irgendwas ins Gesicht klebte. Das ist meiner Meinung nach bloße Effekthascherei und hat nichts mit guter Porträtkunst zu tun. Ein großes Vorbild aus der Vergangenheit ist Richard Avedon. Von ihm sagt man, dass er sein Modell stundenlang auf dem Hocker sitzen lies und es kommentarlos umkreiste, bis es müde, unaufmerksam oder erschöpft war. Erst dann fing er an zu fotografieren und bekam die Ergebnisse, die ihm gefielen und die heute noch großartig zum Betrachten sind. Ich habe mir hier einiges abgeguckt, so hilft es zum Beispiel das Modell auf einen unbequemen Hocker zu platzieren anstatt auf einen bequemen Sessel; so entstehen Emotionen, die für den Betrachter funktionieren. Auch ist die erste halbe Stunde in 98 Prozent aller Aufnahme-Sessions für die Katz, die Modelle sind einfach viel zu sehr damit beschäftigt sich im besten Licht zu zeigen. Gegen Ende erst, wenn die Konzentration beim Modell spürbar nachlässt, entstehen die guten Aufnahmen; das kann schon mal zwei Stunden dauern bis es soweit ist.

Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?

Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:

Neben der aktuellen Zuwanderung und all den damit verbundenen Chancen und Problemen verabschiedet sich gerade die Generation in der Gesellschaft, die noch ohne Digitaltechnik aufgewachsen ist. Das wird sicher noch einiges verschieben, wie zum Beispiel die Selbstvermessung der körperlichen Vermessung mit Smartdevices zeigt.

Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:

Ich hoffe, dass sich das Arbeiten von zuhause in unserer Gesellschaft weiter durchsetzt, denn nach meiner Erfahrung erhöht dies nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Motivation und damit den Output.

Herausforderung für unseren Markt:

Im fotografischen Bereich reichen die Innovationen von atemberaubender Detailtreue, die 50 Megapixel und mehr so mit sich bringen, bis hin zur Verarbeitung von Tiefeninformationen des Bildes durch Technologie von Lytro. Bei der Verbindung Optik-Digitaltechnik bleibt es sicher auf Jahrzehnte hinaus spannend. Die Herausforderung ist es hier auf dem Laufenden zu bleiben.

Herausforderung für unsere Firma:

Die Herausforderung für mich besteht darin, nicht jeder Entwicklung sofort zu folgen, sondern sich auf das zu konzentrieren, was brauchbare Ergebnisse bringt. So höre ich bis heute das Klicken meiner DSLR und bin noch nicht auf spiegellos umgestiegen.

Was hat Dich bisher am meisten am Internet geärgert, was am meisten gefreut?

Die Vorteile der weltweiten Vernetzung sind einfach grandios. Heute ist eine Antwort auf eine Frage dank anderer Nutzer schnell zur Hand. Es gibt für jeden noch so speziellen Bereich eine Community, welche sich zügig finden und kontaktieren lässt. Besonders sinnvoll ist Youtube, denn hier kann man Anleitungen für fast alle Handgriffe finden. Zum Beispiel habe ich einen beeindruckend großen Falt-Background für mein mobiles Studio, welchen ich aufgrund der speziellen Falttechnik am Anfang vor Ort nicht wieder einpacken konnte. Ein Aufruf von YouTube zeigte mir sofort die spezielle Zusammenfalt-Technik mit allen notwendigen Handgriffen; das Problem war in Nullkommanichts gelöst.

Ich verstehe daher gar nicht, warum mich Menschen bei handwerklichen Methoden fragen, wie man dies oder das genau machen kann, wenn es bei YouTube zig verschiedene Tutorials dazu gibt, welche die Lösung auch noch anschaulich im Bewegtbild zeigen.
Geärgert werde ich von anderen Dingen: Allerorts sehe ich Ergebnisse von Gestaltern, welche sich als Autodidakten ein Halbwissen angeeignet haben, das nur in ihren Augen vollständig zu sein scheint. Bildkomposition, Usability oder Typographie sind für solche „Designer“ scheinbar Orte am Kongo. Das fängt damit an, dass die Bedienung inkonsistent ist, das Erscheinungsbild den Charme der frühen 90er Jahre hat und grundlegende Konzepte des Setzen von Schrift und Bild nicht bekannt sind.

Das Unvermögen gipfelt gerne darin, dass Webdesigner die häufig überstrapazierte typografische Ellipse („…“) nicht so setzen, wie sie in der deutschen Rechtschreibung richtig und sinnvoll ist: mit Leerzeichen davor, denn sie trägt recht eigenständig einen Gedanken im Satz und klebt daher nicht an einem Wort, denn dies macht meistens auch semantisch überhaupt keinen Sinn.

Welches „Problem“ (privat oder im Unternehmen) würdest Du gerne von einem Start-up gelöst bekommen?

Gerne hätte ich ein smartes Utility für den Mac, welches mir wiederkehrende Handgriffe und Arbeitsweisen abnimmt. Egal, ob ich drei mal hintereinander einen Screenshot mache, mehrfach Dateien umbenenne oder jeden Tag zur gleichen Zeit meine Freundin anrufe. Gerne möchte ich solche wiederkehrenden Handlungen erkannt haben, damit sie mir entweder abgenommen oder erleichtert werden. Die Kalender-App Fantastical hat solche Methoden ansatzweise eingebaut: sobald man einen Termin, sagen wir in drei Wochen, eingetragen hat, springt sie nach ein paar Sekunden zurück auf den heutigen Tag. Solche Methoden sind im Grunde super trivial und helfen dabei, dass die Technik sich auf mich zu bewegt und nicht umgekehrt. Bereits 2000 hat Steve Krug mit seinem Standardwerk „Don’t make me think“ den Weg gezeigt, wo Usability hingehen sollte. Wer solche Grundlagen nicht kennt und berücksichtigt, ist für mich kein ernstzunehmender (Online-)Designer.

Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…

einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin (auch Print), mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst

Es passieren so viele interessante Dinge in den Blogs dieser Welt, aber kaum jemand bekommt sie mit. Der Platzhirsch zum mobilen Aggregieren ist zwar Flipboard, aber meiner Meinung nach ist Flipboard bei Weitem nicht so nützlich, wie die App Zite, da diese redaktionell betreut wesentlich fundiertere Infos aufs Tablett bringt als zum Beispiel Flipboard mit seinem ganzen unnötigen Rauschen. Zite ist dafür nur in englisch verfügbar, was wiederum den Vorteil hat, dass man frühzeitig von Dingen erfährt, die – von deutschen Bloggern und Journalisten gefärbt – erst Tage und Wochen später auf dem Tisch landen.

einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat 

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ein spannendes Buch, das Dich für Dein Business inspiriert hat

Es gibt nach meiner Kenntnis nur ein wirklich gutes Buch zum Thema Portraitfotografie: „Schärfe deinen Blick.“ Darin findet sich eine analytische und sehr dedizierte Beschreibung anhand von bekannten und unbekannten Portraits. Am Ende jedes Kapitels gibt es einen kurzen praktischen Teil mit Übungen. Leider ist das Buch in deutsch vergriffen und nur noch im englischen Original Train your gaze hier und da erhältlich.

eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast (und was, bzw. von wem)

Vor einiger Zeit war ich hier auf dem Land auf einer Ausstellung zum Thema „Kitsch“. Dort habe ich gelernt Kitsch zu erkennen. Kitsch ist für die meisten sicher als Gefühl zu bewerten, gleichzeitig kann man das Empfundene nur schwer in Worte fassen – es ist eben Kitsch! Selbst Engländer und Franzosen haben den Begriff übernommen und bezeichnen solche Dinge als Kitsch, die eine Kopie eines Originals abbilden, also sich auf etwas Originäres beziehen. Sie stehen daher nicht für sich selbst, sondern für etwas. Die goldenen Wasserhähne beim Maharadscha sind authentisch, in der Umkleidekabine des Sportvereins sind sie Kitsch. Ein anderes Beispiel: Der röhrende Hirsch über dem Sofa eines Menschen, der in der Stadt lebt und sich selten bis nie im Wald aufhält, ist eindeutig kitschig; ganz im Gegensatz zum selben Motiv über dem Kamin des Jägers, der dieses Tier von Angesicht zu Angesicht kennt.

Kitsch ist nicht nur Abziehbild eines dahinter verborgenen Originals, es hat auch keine Aussage aus sich selbst heraus. Es will nur scheinen, nicht sein. So lässt sich Kitsch leicht identifizieren und sogar auf Mitmenschen anwenden.

das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit

Für mich ist Keyboard Maestro auf dem Mac sehr wertvoll. Damit kann ich den unter Frage 7 erwähnten Problemen ein bisschen ausweichen und Programm-Aufrufe auf Funktionstasten legen und auch ganze Befehlsketten abspeichern. Unverzichtbar.

Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?

Kinderportraits finde ich selten bemerkenswert, aber die Arbeiten von Loretta Lux sind ganz und gar beeindruckend für mich. Wenn schon Kinder fotografieren, dann so. Ein Gespräch mit ihr wäre sicher interessant.