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Interview mit Heinz Hermann Maria Hoppe – Studio für Design und Orientierung

Wer ist Heinz Hermann Maria Hoppe? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.

Mein erinnertes Bewusstsein beginnt mit der Mondlandung. Nach zwei durchschlafenen Tagen und Nächten(!) wachte ich gerade noch rechtzeitig auf, um den berühmten kleinen Schritt für einen Menschen zu sehen! Zusammen mit sieben Geschwistern starrte ich mit offenem Mund auf den Röhrenfernseher. Wenn alle Kinder im Bett waren, kippte meine Mutter Lackfarbe auf ausgehängte Zimmertüren und montierte auf dem Kohleofen geschmolzene Joghurtbecher zu Bildcollagen. Seither will ich den Kosmos der Phantasie erkunden, suche Ideen und gestalterische Funkenflüge. Ich habe Bleilettern mit Zigarettenpapier ausgeglichen, die Lichtmalerei blinkender Hundehalsbänder auf fotografische Sensoren eingefangen. Jeden Tag trainiert, die Fontanelle für neue Ideen zu öffnen und in vier Dimensionen kreuz und quer zu denken. Ich bin Kreativer, habe 20 Jahre in norddeutschen Agenturen für BtoB-Kunden entworfen, Bücher gestaltet und Typografie/Kalligrafie gelehrt. Seit zwei Jahren bin ich mit meinem Studio für Design und Orientierung in Ismaning bei München selbstständig.

Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.

Vom vielzitierten Henry Ford gibt es einen Satz, der mir gefällt: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: ‚Schnellere Pferde‘.“ Visuelle Experimente, 3D-Abtastung, Schweißen, Bildende Kunst, Bionik, Tauchen, Tiefsee, Bergsteigen, Erfinden, Berg-, Langzeit- und Makrofotografie … sind ja eher Leidenschaften oder Interessen. Wissenschaftliche Themen reizen mich sehr. Mikrobiologe wäre meine zweite Berufswahl gewesen. Ich halte mich manchmal zu lange im Mikrokosmos auf. Ist alles so spannend hier …

Elevator Pitch! Was macht dein Unternehmen? Und vor allem: was machst du am besten, wo liegt deine Superpower?

Ich gebe Unternehmen und Institutionen ein Gesicht. Design ist Dasein! Corporate Design und BtoB-Kommunikationsdesign sind mein Treibstoff. Weil man auseinandernehmen und durchdringen muss, bevor man neu zusammensetzen kann! Design ist aber auch Orientierung: Ich bin gut in der Analyse und Synthese von Prozessen. Ich stelle kluge Fragen, die neue Türen aufmachen und kann die Hubschrauber-Perspektive einnehmen. Dann maßschneidere ich Markenbilder und Texte, die Vertrauen schaffen. Ich bin Generalist: Bild-, Raum- und Textgestaltung begreife ich nicht isoliert sondern im Kontext eines in sich runden Erscheinungsbildes.

Wie lebst du Digitalisierung in Deinem Unternehmen? In welchem Bereich hast du Digitalisierung erfolgreich um- oder eingesetzt?

Als Kommunikationsdesigner arbeitet man heute fast ausschließlich digital. Das ist Standard. Oft ist die gesamte Prozesskette digital – immer öfter auch der erste Kundenkontakt und das Briefing via Social Media oder E-Mail. Bilder und Texte werden digital erstellt, Entwürfe digital umgesetzt, präsentiert, für die Druckproduktion reingezeichnet und geliefert. Bei digitalen Endprodukten wie Websites gibt es per se nichts zum Anfassen. In Summe geht es nicht mehr um die Frage, ob ein Arbeitsschritt digital eingebunden wird, sondern wie und an welcher Stelle. Interessanterweise ist ausgerechnet das schnellste und flexibelste Medium für mich und viele Kolleginnen und Kollegen noch immer analog: das leere, weiße Blatt Papier, auf dem wir Ideen entwickeln und fixieren. Die Website-Struktur entwerfe ich mit Karteikarten, anschaulich und schnell! Der wichtigste Arbeitsschritt eines Designers wird, wie in der Steinzeit, vom Hirn direkt an die Hand weitergegeben – ohne Mensch-Maschine-Interface. Dann gibt es wiederum Entwurfsszenarien, bei denen die mathematische Logik der Elektronen umwerfend schöne Gebilde zaubert. Mit dem Bleistift kommt man da nicht hin! Die Kunst liegt darin, zum passenden Zeitpunkt das richtige Werkzeug zu wählen, denn das Werkzeug bestimmt den Designprozess prägend mit! Meistens fixiere ich meine Ideenansätze aber mit Graphit-Partikeln statt mit Pixeln. Der Stift ist direkter als die Maus. Während der Ausbildung von Mediengestaltern habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass digitales Arbeiten in frühen Entwurfsstadien ineffizient ist. Statt Ideen zu suchen, gilt die Aufmerksamkeit zu schnell der Frage: „Wie setze ich das später um?“. Das saugt Konzentration von der eigentlichen Aufgabe ab.

Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Deinen Markt, Deine Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?

Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:

Digitale Daten sind abstrakt, versteckt und nicht greifbar. Das macht es kompliziert. Software agiert im Hintergrund, von Spezialisten geschrieben. Welcher Nutzer kann schon Code lesen? Wer eine Sprache nicht versteht, kann den Inhalten nicht folgen! Das ist ein modernes Babylon und Einfallstor für Manipulationen. Der aktuelle Status: wir leben und arbeiten mit Werkzeugen, die wir im Grunde nicht verstehen und die nicht mit uns interagieren. Es fehlt die Rückkopplung. Wir haben ökonomisch keine Wahl. Wir können vertrauen, hinterfragen – aber nicht überprüfen! Wir nutzen digitale Übersetzer: Interfaces, Browser, Software. Übersetzer, die – mit allen potentiellen Risiken – auch falsch übersetzen. Das passiert andauernd, mit jedem Bug, jeder Fehlfunktion, jedem ungewollten Papierausdruck, jedem falsch verstandenen Befehl! Ich brauche nur auf meine Bücherregale voller Software-Handbücher schauen, die in sechs Monaten nicht mehr gültig sein werden. Digitale Instrumente produzieren auch Missverständnisse, Reibungsverluste, verbrennen Lebenszeit und Arbeitskraft. Aus dem Grund sind Usability- und User Experience-Designer so gefragt: die Digitalisierung nimmt zu (Industrie 4.0!). Bei allem Fortschritt sind die Maschinen aber noch immer nicht für Menschen gemacht. Wirtschaften ist immer abhängig von Vertrauen. Wir wirtschaften mit Werkzeugen, von denen wir nur begrenzt wissen, was diese tun. Ich sehe eine Herausforderung darin, persönliches Vertrauen in digitalen, anonymen Geschäftsbeziehungen aufrecht zu erhalten. Positiv finde ich die ganz andere Herangehensweise, die tradierte Konventionen des Wirtschaftens neu beleuchtet. Andere Blickwinkel öffnen einem die Augen für neue Wege und Horizonte.

Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:

Auf der Suche nach Dienstleistern in München gebe ich in die Suchmaske des Online-Branchenbuches ein: ›Schreiner, München‹. Trefferzahl: 597. ›Unternehmensberater‹: 1 530 Treffer. ›Zahnarzt‹: 1 014. ›Rechtsanwalt‹: 1 374. Für welchen Schreiner soll ich mich jetzt entscheiden? Wie filtere ich die anonymen Angebote? Wie finde ich effizient einen kompetenten, zuverlässigen, mir sympathischen, seriösen und nicht zu teuren Dienstleister für mein Problem? Steht ›mein‹ Unternehmensberater wirklich auf Seite 1 der Anzeigeergebnisse? Übersicht hat nichts mit der Masse an Angeboten zu tun, im Gegenteil.

Herausforderung für unseren Markt:

Internet ist worldwide! Wer ein Logo braucht, vergleicht mal eben Entwurfsangebote aus St. Gallen, Warschau, Neu-Delhi, Yokohama und Brownsville mit Angeboten aus Manado! Fotografen können ein Lied vom Bilder-Preiskampf gegen Stockagenturen singen.

Herausforderung für meine Firma:

Antreten. Durchhalten. Besser sein. Alleinstellungsmerkmale sichtbar machen. Immer wieder sich selbst erfinden und Nischen auftun, in denen ich Kunden finde, die zu mir passen und sich der Bedeutung der visuellen Identität bewusst sind. Noch besser anders herum: Präsent zu sein, um Kunden, die meine Fähigkeiten brauchen und suchen, auf digitalen Wegen auf mein Können aufmerksam zu machen.

Was hat Dich bisher am meisten „am Internet“ geärgert, was am meisten gefreut?

Ich entstamme einer Designer-Generation, die den Übergang vom analogen zum digitalen Arbeiten mitgeprägt hat. 1990 montierte ich Satzfahnen ganzer Bücher noch manuell – mit Klebstoff! Reinzeichnungen wurden mit Tusche und Ziehfeder gefertigt. Wir können auch bei Stromausfall entwerfen. Dann kam der MAC. Weltweite Geschäftsbeziehungen waren für uns eher die Ausnahme, man hatte schlichtweg keinen direkten „Draht“ zu so vielen potentiellen Kunden. Der Kundenkontakt war persönlicher – man traf sich öfter, um direkt über einen Job zu sprechen. Mich ärgert die Entwicklung des kosmopolitischen Ausverkaufs von Design. Es geht nicht um ein Zurück in einen alten Daseins-Zustand – es geht um ästhetische Qualität! Mir wird schwindelig beim Ausverkauf von gestalterischen Werten in Cent-Beträgen. Der Preisverfall geht einher mit Werte-Verfall, hin zu visueller, repetierter Mittelmäßigkeit und Selbstbedienungsmentalität. Das ist Internet. Internet ist aber auch: der Kontakt zu einem interessanten und wertschätzenden Auftraggeber in Moskau, der mit seinem Familienunternehmen eine Geschäftsidee umsetzten will. Diesem Kunden wäre ich auf konventionellen Wegen nicht begegnet!

Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…

einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst

www.digitalproduction.com) für die faszinierende Welt der dritten Dimension (für den, der die Potentiale digitaler Räumlichkeit auch für grafisches Design herausfiltern mag).

einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat

„Das Neue und seine Feinde“, buchreport-Online-Interview. Weil er Bedenkenträger, Neider und Angsthasen als weitverbreitete Bremsen für Innovationen benennt.

ein spannendes Buch, das Dich inspiriert hat

ein Klassiker: D’Arcy Wentworth Thompson: „Über Wachstum und Form“. Weil es die Zusammenhänge von Evolution und Schwerkraft aufdeckt.

eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast

ein Vortrag über Schriftgestaltung vom verstorbenen Typografen Günter Gerhard Lange auf einer Typo-Konferenz in der schwangeren Auster, Berlin. Bekannt für seine Expertise als Schriftgestalter beeindruckte seine rhetorische Eloquenz. Die Verkörperung von Überzeugungskraft durch die Kombination von fachlicher Brillanz und persönlicher Ausstrahlung. Mit Berliner Schnauze!

das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit

das hilfreichste Software-Paket: der klassische Dreiklang. Indesign, Photoshop, Illustrator (es gibt in unserer Branche leider keine Alternative mehr. Freehand fand ich besser!). Das spannendste Programm: ZBrush für digitales Modellieren und Phantasieschübe.

Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?

Dr. Wolf W. Lasko, Managementberater, von dem ich zwei Bücher zur Neukundengewinnung und ein Buch zur Persönlichkeitsentwicklung gelesen habe. Ein stringenter Ratgeber.

Weitere exklusive Interviews aus der Netzwirtschaft gibt es hier.