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Interview mit Thomas Wolter – die mauersegler

Thomas Wolter die mauerseglerWer ist Thomas Wolter? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.

die mauersegler“. Zuvor war ich Mitarbeiter in einer Schweizer Kommunikations-Agentur, dann Berater in einer Münchner PR-Agentur. Den theoretischen Unterbau habe ich mir an der Universität Potsdam anstudiert – Politologie, eigentlich das perfekte Helikopterstudium für meinen Job.

Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.

Oha. Bei der Frage dachte ich erst: „Hab ich nicht“. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr Marotten fallen mir ein. Mein leicht autistischer Ordnungsfimmel vielleicht – alles muss seinen festen Platz haben. Oder die Macke, dienstags und donnerstags braune Schuhe tragen zu müssen. Und da wäre noch der Spleen, nie auf eine Türschwelle zu treten: Als Kind habe ich ein Buch über Marco Polo gelesen, in dem stand, dass das in China Unglück bedeute. Ich höre jetzt besser auf mit meiner Enzyklopädie an Verrücktheiten: So schräg bin ich nun auch wieder nicht.

Elevator Pitch! Was macht Eure Firma? Und vor allem: was macht Ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?

Ich halte nichts von Superlativen. Die, die am lautesten trompeten und sich permanent brüsten, machen sich verdächtig. Wir sind gut. Worin? Nun, zuerst einmal im Zuhören und Kennenlernen: Was genau möchte der Kunde, was erwartet er von uns Mauerseglern? Erst dann kann unsere Arbeit als „Dolmetscher“ beginnen: Wir verschaffen dem Kunden, seinen Produkten oder Dienstleistungen ein Image, ein Profil – nicht glatter, besser ist mit Kanten. Perfektion ist doch langweilig. Ein Beispiel? Oft bekommen wir Texte zu sehen, die aus dem Unternehmen kommen. Tja, da müssen wir dann ran: Worthülsen, schiefe Sätze, dazu eine Armada an Superlativen. Wir sortieren alle Wörter neu und misten aus – damit der Leser rote Ohren und rote Backen bekommt, er den Text mindestens überfliegt, an den Sätzen gern hängenbleibt und vom Beitrag mehr als nur die Überschrift liest. Das alles braucht die passende Verpackung, wir gestalten daher auch Broschüren und Internetseiten. Auffallen, aber nicht um jeden Preis – ganz wichtig. Und sonst noch? Medienarbeit – immer noch erfolgversprechender als die klassische Anzeigenschaltung. Was wir dem Kunden gleich sagen: Wir können nicht alles. Wer das verspricht, macht sich unglaubwürdig. Daher arbeiten wir mit Dienstleistern zusammen, mit Grafikern, Lektoren, Fotografen, Druckereien, Messesystembauern. Letztlich kann ich selbstbewusst sagen: Größe allein zählt nicht, Agenturkonzerne sind nicht unbedingt immer die Besten.

Apropos Superpower: Verrätst Du uns ein „Best Practice“ Beispiel Deiner Firma, wo ihr besonders erfolgreich wart?

Für einen Kunden arbeiten wir seit genau zehn Jahren. Damals begann alles mit dem Auftrag: „Macht uns bekannter, bringt uns in die Zeitung“. Also Pressearbeit; die haben wir dann umgesetzt: Themensetting, Verteiler erstellen und pflegen, Redakteure bezirzen und so weiter. Schon kurze Zeit später fragte uns der Kunde: „Könnt Ihr eigentlich auch Broschüren gestalten?“ Klar, können wir. Dann kam der vierseitige Newsletter, der über die Jahre zum Vierzigseiter geworden ist, ein Buch, eine Ausstellung, viele Reden, Internetseiten – Grafik und Inhalte – immer mal wieder Reden, die Dauerausstellung, eine Wanderausstellung und vieles, vieles mehr. Wir mussten uns erst richtig kennenlernen, dem Kunden vermitteln, was wir leisten können und worin wir ihn unterstützen. Das muss alles stimmen, da es hier letztlich auch um Budgets geht. Wenn ich zurückblicke, dann sehe ich da viele Bausteine, die aber ein einheitliches Ganzes ergeben – nicht nur optisch-ästhetisch. Und das kommt gut an und wird dem Kunden zugeordnet: der Wiedererkennungswert ist endlich da und damit auch das Alleinstellungsmerkmal, das wir auf seine internen und externen Kommunikationsmittel übertragen haben. Dennoch darf die Nähe nie zu intensiv sein, sonst droht Betriebsblindheit. Wir müssen an unsere Aufgabe als „Dolmetscher“ denken: Abstand einhalten, um besser für den Kunden kommunizieren zu können. Empathie ist dennoch so wichtig – das soll jetzt keine Worthülse sein! Und was ich auch in den vielen Jahren gelernt habe: Berater müssen in gewisser Weise Therapeuten sein.

Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?

Herausforderung für die Gesellschaft bzw. den Staat:

Vor 25 Jahren hieß es, das Ende der Geschichte sei erreicht, die Demokratie habe gesiegt – alles ist schön. Tja, denkste: Aus der Gut-Böse-Schablone des Kalten Krieges ist eine asymmetrische Welt geworden mit ihren vielen Konflikten und unfassbarem Leid. Wegducken bringt nichts, die Welt ist kleiner geworden. Auch wenn es schwer fällt, die „Not in my backyard“-Mentalität müssen wir ablegen, jeder muss zu Kompromissen bereit sein, so schwer sie auch fallen mögen. Das betrifft große gesellschaftspolitische Herausforderungen wie auch das nachbarschaftliche Miteinander im Kiez.

Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:

Immer nur über die Bürokratie zu schimpfen, ist mir zu einfach. Ich halte es da her mit dem Bürokratieverständnis nach Max Weber. Es sind doch die Regeln, die alles zusammenhalten. Wer über die deutschen Bürokraten meckert, vermisst spätestens dann deren Verlässlichkeit und Pedanterie, wenn er im Ausland eine neue Existenz aufbaut. Aber es stimmt: Die Bürokratie muss flexibler sein und vor allem auf die Möglichkeiten setzen, die die Neuen Medien bieten.

Und die Sorge vor Google/Alphabet, Facebook, Apple, Microsoft: Das sind die modernen Tycoons! Was aus denen der Industriezeit geworden ist, zeigt der Blick in die Geschichtsbücher. Der Markt reguliert sich nicht immer von allein, der Staat muss korrigierend eingreifen. Darauf möchte ich mich verlassen.

Ausbildung: ein großes Thema, aber Ausbildung fängt nicht erst mit dem Schulabschluss an, sondern viel, viel früher. Auf meinem Gebiet zum Beispiel ist Allgemeinbildung gefragt, das schnelle Begreifen unterschiedlicher fachlicher Zusammenhänge: Diese Fähigkeit können Ausbildung und Studium nur bedingt vermitteln, das gelingt vor allem über lesen, lesen, lesen: Zeitungen, Bücher – meinetwegen das auch online. Frage ich Absolventen, welche Zeitungen sie lesen – oder Bücher – höre ich leider zu oft: „Nö, Zeitung lese ick nich“. Da möchte ich am liebsten gleich den Buzzer drücken. Kann das nicht schon in der Schule angeregt werden oder von den Eltern vorgelebt?

Herausforderung für unseren Markt:

Das ist für mich der Umgang mit den Neuen Medien. Mir fällt es schwer, die Zukunft der Kommunikation allein darauf zu beschränken. Okay, die Möglichkeiten sind überwältigend. Aber was für das Internet gilt, betrifft die Welt der Einsen und Nullen insgesamt: Nur nicht den Überblick verlieren und verirren.

Herausforderung für unsere Firma:

Klein bleiben oder doch in die Breite und Tiefe investieren? Auch wenn mich der inflationäre Einsatz des Wortes missfällt: „Nachhaltigkeit“, darauf möchte ich setzen – betriebswirtschaftlich bleibt das der vernünftige Ansatz. Also keine Risiken eingehen, kein Wachstum um jeden Preis. Was die Akquisition betrifft: Ich halte nichts von der Gießkanne, also dem wahllosen Versenden von Anfragen. Bislang haben wir ausschließlich über Empfehlungen neue Kunden gewonnen. Bloß nicht aggressiv auftreten, besser mit Zurückhaltung punkten und durch Besonderheiten sympathisch auffallen. Letztlich das alles selbst umsetzen, was wir den Kunden empfehlen.

Was hat Dich bisher am meisten „am Internet“ geärgert, was am meisten gefreut?

Alle zwei Jahre verdoppelt sich das Datenvolumen im Internet. Wenn ich für Artikel recherchiere, dann kann ich mich nicht allein auf das ungefilterte Wissen verlassen, das das Worldwideweb ausspuckt. Offline gehen, um besser erzählen zu können: So schafft man Qualität. Natürlich bleibt das Netz eine Hilfe, auf die ich nicht mehr verzichten möchte. Trotzdem sollte man bei der Informationsflut skeptisch bleiben. Das Gefundene gedanklich durchkauen und in die persönliche Meinungsbildung einfließen lassen: Graue Zellen, die nicht gefordert werden, verkümmern sonst.

Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…

einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst

Das sind natürlich die Klassiker unter den Informationsquellen wie Spiegel-Online, Süddeutsche.de, aber auch regionale Portale der Berliner Tageszeitungen. Auch wenn das wenig mit meiner Arbeit zu tun hat: Großartig finde ich den Liveticker von 11Freunde. Es gibt für mich nicht die eine allwissende Seite – ich suche nach den Informationshäppchen, die zur großen Wissensmahlzeit werden könnten. Unverzichtbar geworden ist für mich die tägliche Lektüre des Tagesspiegel-Checkpoint: exzellent aufbereiteter Newsletter, dem der Spagat zwischen knappen Kommentaren und tiefgehender Analyse gelingt. Auch wenn ich nicht immer einer Meinung mit Lorenz Maroldt bin: Ihm gelingt es, dass ich über seine Texte nachdenke und so gezwungen bin, mir eine Meinung zu bilden. Und das sollte das Ziel jeden Kommentars sein.

einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat 

Ein Beitrag auf Spiegel-Online beschreibt den Genderschreibwahn der Bündnisgrünen, der für mich Augenschmerzen statt Lesefreude bringen würde:

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-gruenen-machen-geschlechtsneutrale-sprache-zur-pflicht-a-1063228.html

ein spannendes Buch, das Dich inspiriert hat

Es gibt so viele Bücher, die mir gefallen und durch deren Lektüre ich „etwas mitnehmen“ konnte. Zwei Bücher gibt es, die hole ich immer wieder gern aus dem Regal: Mein Vogelbestimmungsbuch und „Revolutionen auf dem grünen Rasen“ – ob nun „Schottische Furche“ oder „W-M-System“: Alle bisherigen Varianten von Spielssystem im Fußball werden hier hochkonzentriert vorgestellt. Das Ziel bleibt immer gleich: Den Ball ins Tor bekommen. Nur der taktische Weg dorthin ist verschieden.

eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast (und was, bzw. von wem)

Als ich mich vor fast fünfzehn Jahren selbstständig machte, hatte mir vor allem eine Veranstaltungsreihe weitergeholfen: der Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg. Gerade in Gesprächen mit anderen Gründern konnte ich einiges mitnehmen. Und nicht jeder Berater sah in mir gleich einen potenziellen Kunden. Was mir immer wieder auffällt: Treffe ich auf Veranstaltungen Kollegen aus der Branche, dann kommt auf meine „Wie-geht’s-Einstiegsfrage“ immer wieder ein „Bestens! Alles super!“ Na ja, lasse ich mal so stehen…

das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit

Bitte nicht lachen: Word. Das ist das Programm, womit letztlich einen Großteil meines Salärs verdiene. Word – trotz seiner Unzulänglichkeiten und Abstürze. Nur Gestalten in Word – geht natürlich überhaupt nicht – auch wenn sich nicht Wenige darin austoben.

Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?

Was ist ein Experte? Ein Sascha Lobo, der mittlerweile zu allem seine Meinung verkünden muss? Wie all die anderen, immer gleichen Ritter der öffentlich-rechtlichen Schwafelrunden? Nein, im Ernst: Hajo Schumacher schreibt und redet hervorragend; tolle bildliche Sprache, sehr eloquent. Mit Harald Martenstein würde ich mich gern austauschen wollen, auch weil er Unbequemes bewundernswert verpacken kann. Letztlich ist doch Jeder irgendwie, irgendwo ein Experte, oder?