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Interview mit John Sealey – Roth Observatory

John Sealey Roth ObservatoryWer ist John Sealey? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.

Eigentlich bin ich geborener Brite. Seit September darf ich mich aber offiziell als Deutscher bezeichnen –  ich habe sogar den Einbürgerungstest bestanden 🙂 Ich lebe nun schon ganze 25 Jahre in Deutschland und habe einen Faible für die Norddeutschen. Die versteht man wenigstens :).

Roth Observatory International (damals noch The Observatory) gegründet und leite ihn bis heute. Außerdem bin ich noch Mitbegründer der Coaching Firma Die Kernforscher, qualifizierter Coach, Mediator und Organisationsentwicklungsberater spezialisiert auf die Belange der Marketing- und Kommunikationsbranche.

Ich bin seit fast 30 Jahren im Marketing-Business und habe fast zehn Jahre in Blue-Chip Unternehmen wie Lloyds Bank Group und BP gearbeitet. 1997 bin auf Agenturseite gewechselt, und habe z.B. als Geschäftsführer bei Scholz & Friends International hauptsächlich den Auf- und Ausbau des internationalen Networks der Agenturgruppe vorangetrieben.

Starken Einfluss auf mein Leben nimmt mein buddhistischer Glaube. Er verleiht mir unter anderem eine große Portion Geduld, innere Ruhe und Empathie, die man in der Marketing- und Agenturbranche sehr gut gebrauchen kann.

Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.

Als gebürtiger Brite habe ich mir vorgenommen, allen zu beweisen, dass Engländer doch eine kulinarische Ader haben. Ich koche liebend gern und meine Mitmenschen haben keine andere Wahl, als alles zu essen, was auf den Tisch kommt. 😉 Dazu gehört natürlich auch die Englische Tradition des Pimms Trinken. Das habe ich auch in meinem Team eingeführt – das erhöht die eh schon gute Arbeitsstimmung und die Moral 😉

Elevator Pitch! Was macht Eure Firma? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?

Mit Roth Observatory International unterstützen wir werbetreibende Unternehmen, im digitalen Zeitalter Marketing-Ressourcen richtig und effizient einzusetzen. Schwerpunkte hier sind Themen wie Struktur- und Prozessoptimierungen im Marketing, Agentur-Portfolio-Management, leistungsbasierte Agenturvergütung und Performance Monitoring. Im Gegensatz zu anderen Beratungs-„Dickschiffen“ sind wir schlank aufgestellt und anfassbar. Wir krempeln die Ärmel hoch und gehen das Problem an – pragmatisch, erfahren und lösungsorientiert. Auf penetrant charmante Art und Weise schauen wir in die toten Winkel und scheuen nicht davor zurück, wertschätzend und im Sinne des besten Ergebnisses den Finger in die Wunde zu legen. Die Behandlung bieten wir gleich mit an, mit schneller und langanhaltender Linderung 😉

Wie lebt ihr Digitalisierung in Eurem Unternehmen? In welchem Bereich habt ihr Digitalisierung erfolgreich um- oder eingesetzt?

Alle unsere Tools (zur Linderung) funktionieren mit digitaler Unterstützung – das müssen sie heutzutage, damit sie den Anforderungen von Echtzeit, Transparenz und Effizienz gerecht werden können. Wir und in erster Linie natürlich unsere Kunden haben so die Möglichkeit, Best-Practice-Beispiele auf Basis von Datenbanken zu benchmarken. Ein Beispiel ist unsere Datenbank GARD, der Global Agency Rates DatabaseTM, mit der Agenturkosten weltweit verglichen werden können. So kann ein Kunde vergleichen, ob er der Agentur eine angemessene Vergütung zahlt. Ein anderes Beispiel ist unser Tool APT, Agency Performance TrackerTM. Damit haben wir eine Möglichkeit entwickelt, kontinuierlich und in Echtzeit sowohl die Agentur- als auch die Kundenleistungen zu messen. Ergebnisse können mit Hilfe einer Datenbank sowohl hinsichtlich der Region, der Branche als auch der spezifischen Aufgabe bzw. Agenturdisziplin) gebenchmarkt werden.

Und sicherlich muss erwähnt werden, dass auch wir intern durch einige smarte digitale Tools, die Möglichkeit nutzen, den internationalen Austausch zu unseren weltweit verstreuten Kollegen auf ein neues Niveau heben zu können. Manchmal habe ich das Gefühl, wir sitzen alle in einem Büro. Das beflügelt und inspiriert ungemein. Zumal wir ehrlicherweise bei so einigen digitalen Themen in Deutschland noch etwas hinterherhinken, können wir von unseren Kollegen sehr viel lernen.

Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?

Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:

Das Internet bestimmt mittlerweile so viele Bereiche unseres Lebens – ob wir es wollen oder nicht. Es ist Fluch und Segen zugleich. Es erleichtert viele Dinge, macht vieles einfacher – dafür müssen wir aber immer transparenter werden. Davor haben wir Angst. Geraten diese Daten in die falschen Hände, könnten sie auch gegen uns verwendet werden. Wir geben ein stückweit unsere Selbstbestimmtheit und Freiheit auf.

Der Staat muss daher dafür sorgen, dass all unsere Daten nicht in die falschen Hände geraten – vermeintliche Sicherheit eben nicht um jedem Preis – „Big Brother“ darf nicht alles sehen.

Herausforderung für die Netzwirtschaft in Deutschland / Europa:

Die Deutschen haben eine natürliche Skepsis gegenüber allem Neuen – es gibt im Ausland sogar den Begriff „German Angst“ 😉 Wir sind daher langsamer bei Neuerungen und anderen Nationen in vielen Punkten der Digitalisierung weit hinterher. In vielen Ländern gibt es in den Innenstädten kostenloses WLAN oder Zahlungen werden nur noch mit dem Smartphone vorgenommen. In Deutschland kann man ja noch nicht mal überall im Restaurant mit Kreditkarte zahlen. Hier ist Deutschland wirklich noch ein Entwicklungsland.

Herausforderung für unseren Markt:

Die German Angst ist sicherlich auch ein Thema in Unternehmen und insb. in den Marketingabteilungen. Es fehlt oft eine entsprechende Kultur, die Fehler erlaubt – eine Kultur, die die Chance nutzt, aus Fehlern zu lernen, um Innovationen und insb. digitale Innovationen zu fördern.

Das Thema Digitalisierung oder, wie es zurzeit aus jeder Ecke schallt, „die digitale Transformation“ ist ein Struggle für jedes Unternehmen. Sie erfordert sowohl ein Umdenken des gesamten Marketings hinsichtlich der Neuausrichtung der Customer Journey als auch eine Umstrukturierung des gesamten Marketing-Apparats bzw. seiner Struktur. Damit eingeschlossen sind zum einen die einzelnen Positionen, Verantwortlichkeiten und erforderlichen Skills der Mitarbeiter, aber auch die entsprechenden Schnittstellen zu anderen Abteilungen wie IT, Kommunikation, Vertrieb und Marketingeinkauf. Es ist ein viel stärkeres Zusammenspiel erforderlich, um den Kunden konsistent an allen Touchpoints markengerecht und in Echtzeit erreichen zu können.

Herausforderung für unsere Firma:

Viele Marketing Manager arbeiten und denken kurzfristig und operativ. Nicht, weil sie es nicht anders können, sondern, weil sie so eingespannt sind im Tagesgeschäft, dass ihnen nicht die Zeit bleibt, wirklich nachzudenken und langfristige Strategien zu erarbeiten. Das ist ein Stückweit auch der Digitalisierung geschuldet, die immer schnellere Lösungen erfordert. Die Strukturen im Unternehmen sind aber noch nicht so weit, diese Anforderung abzufedern.

Ein Großteil unserer Dienstleistungen erfordern aber genau diese Weitsicht und die Erkenntnis, die Strukturen anzupacken und langfristig anzupassen. Ein Aufgabenpaket, das heute noch das Tagesgeschäft eines jeden Marketers sprengen kann.

„Wie muss die Marketingabteilung in 5 Jahren aufgestellt sein, um angesichts des sich permanent verändernden Marktes zukunftsfähig zu bleiben?“ „Welche Skills und Haltung müssen die Mitarbeiter im „Big Marketing“ haben?“ „Wie soll die Zusammenarbeit mit den angrenzenden Abteilungen organisiert werden, so dass das Unternehmen schnell und agil handeln kann?“

Diese und weitere existenziellen Fragen stellen sich zwar bereits die meisten Unternehmen, aber schon die lineare Herangehensweise zur Lösungsfindung hinkt, frisst Zeit und überfordert viele. Dennoch zögern Unternehmen, hier externe Beratung hinzuzuholen. In Deutschland gilt noch vermehrt die Do-It-Yourself-(„dafür werden Sie schließlich bezahlt“)-Einstellung. Ebenfalls ein Punkt, bei dem einige Länder deutlich weiter sind. Aber warum versuchen, alles selber zu machen, um die fast Hang-artige Lernkurve allein zu erklimmen, wenn es dafür Experten gibt? Denn nebenbei wartet auch noch ungeduldig das ganze Tagesgeschäft, das erledigt werden will.

Was hat Dich bisher am meisten „am Internet“ geärgert, was am meisten gefreut?

Das Internet ermöglicht und erleichtert uns so viele Dinge. Aber die Abhängigkeit macht mich manchmal wahnsinnig. Wenn es funktioniert ist ja alles prima – aber wenn nicht, ist man mittlerweile komplett aufgeschmissen. Hoffen wir also, dass alles weiter läuft 😉

Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…

einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst

Chiefmartec.com – eine, wie ich finde, geile Kombination aus Marketing, Technologie und Management – visionär, inspirierend, pragmatisch.

einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat 

„Flipper statt Bowling“ von Thomas Ramge in der Brand Eins 2/2015. Der Vergleich, das Marketingleute heute am Flipper stehen „viele Kugeln, wenig Kontrolle“ ist einfach genial. Der Artikel beschreibt die heutige Situation des Marketings im Umgang mit der digitalen Transformation und mit der damit einhergehenden Überforderung hervorragend.

ein spannendes Buch, das Dich inspiriert hat

“Growing Up fast: How new agile practices can move Marketing and Innovation past the old Business Stalemates” von Jascha Kaykas Wolff, Kevin Fann und Sean Martinez. Das Buch gibt mir und meinem Team spannende Impulse für neue lösungsorientierte Arbeitsweisen.

“The Circle”, Roman von Dave Eggers. Das Buch ist ehrlicherweise eine Empfehlung meiner Kollegin Felicitas. Ich habe mir aber vorgenommen es zu lesen. Der Roman zeichnet ein sehr erschreckendes Szenario, wie Big Data und der menschliche Wunsch nach Sicherheit und voller Transparenz missbraucht werden können – Diktatur 4.0 oder „Die Welle“ – im digitalen Zeitalter.

eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast (und was, bzw. von wem)

Ich muss gestehen, dass ich lange nicht mehr auf einer wirklich guten Veranstaltung war. Aus dem Grund planen wir aktuell eine eigene Veranstaltungsreihe rund um alle Themen zur Planung und Steuerung von Marketing-Ressourcen. Wir werden selber Vorträge halten, aber auch auf die Impulse und Learnings unserer Gäste setzen. Es geht los am 25. Februar im Künstlerhaus in München zum Thema moderne Agenturvergütung. Plätze sind noch zu haben 😉

das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit 

alle Reiseapps. Unsere Arbeit erfordert viel Reisetätigkeit und die kleine Helferlein auf unserem Handy helfen enorm: sei es die Deutsche Bahn App, das Passbook oder MyTaxi. Grundsätzlich sind wir innerhalb Hamburgs mit dem Fahrrad unterwegs. Damit kommen wir aber leider nicht bis München oder London.

Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?

Scott Brinker, Redakteur von Chiefmartec.com und Steve Jobs: beide sind für mich Inspiration pur!

Daisaku Ikeda: er ist buddhistischer Schriftsteller japanischer Herkunft und ehemalige Präsident der Soka Gakkai International und Friedensaktivist. Er hält Vorträge und führt Dialoge, die sich den Themen Frieden, Kultur und Erziehung auf der Basis des Nichiren-Buddhismus widmen. Ein für mich wertvolles Vorbild, das einen starken Einfluss auf mein Leben und meine Lebensweise hat.

Hasso Plattner: Mitgründer von SAP und visionärer Förderer von vielen innovativen wirtschaftlich relevanten Wissenschaftsprojekten. Außerdem unterstützt er als Mäzen großzügig den Kampf gegen AIDS in Afrika.