interview

Interview mit Caspar Eberhard –
Appenzeller Gurt -Swiss Handmade Belts

Caspar Eberhard Appenzeller Gurt Swiss Handmade Belts
Foto: at-eberhard.ch

Wer ist Caspar Eberhard? Bitte stell Dich doch mal kurz vor.

agrarjobs.ch – der Online-Stellenplattform für die Schweizer Landwirtschaft und der 1-Mann-Agentur «Werkstatt für Digitales» bin ich heute in Zürich zuhause.

Damit wir Dich nicht nur aus beruflichem Blickwinkel kennenlernen, verrate uns doch auch einen kleinen Spleen von Dir.

Spleen wäre etwas übertrieben, aber ich bin pro Jahr ca. 2-3 Monate unterwegs – als «Digitaler Nomad» in Spe kann ich mein Remote Office gut mit Reisen und Surfen verbinden.

Elevator Pitch! Was macht Eure Firm a? Und vor allem: was macht ihr am besten, wo liegt Eure Superpower?

Der Appenzeller Gürtel hat eine lange Tradition, laut Überlieferung mehr als 150 Jahre. «Appenzeller Gurt» bringt die Sennensattler-Werkstatt, das «Büdeli», ins Netz. Auf appenzeller-gurt.com kann aus 96 Varianten ein persönlicher Appenzeller Gürtel, ein Kindergurt oder Hundehalsband zusammengestellt werden, welche dann im schweizerischen Appenzell handgefertigt werden.

Unsere Superwaffe ist natürlich das Produkt. Kurze Entscheidungswege, Experimentierfreudigkeit und etwas Wagemut hilft uns, flexibel und nahe am Kunden zu bleiben.

«Zeitlos modern»: Wir halten den Appenzeller Gürtel nicht für einen Ethnotrend, sondern für ein zeitloses Accessoire. Darum platzieren wir den «Gurt» auch nicht zwischen Sennenhemd und Backpfeife, sondern im urbanen Umfeld oder gar zu Businessanzügen.

«So wie du willst»: Der selbst entwickelte Gurt-Konfigurator widerspiegelt den Besuch in der Werkstatt, dem «Büdeli» in Appenzell, und trägt den individuellen Vorlieben der Kunden Rechnung.

«Behandle andere, wie du selbst behandelt werden willst»: Auch wenn die Schweiz punkto Verbraucherrechte der EU etwas hinterherhinkt und wir nur ein kleiner Onlineshop sind, ist für uns ein schneller und kulanter Service sehr wichtig. Unsere Produkte werden alle auf Wunsch produziert, wir ersetzen oder tauschen die gekauften Produkte jederzeit aus.

«schnell & übersichtlich»: Wir versuchen den Bestellprozess so einfach wie möglich zu halten, offerieren die gängigsten Zahlungsmethoden inkl. Rechnung.

Apropos Superpower: Welches Best Practice Beispiel in Deiner Branche hat Dich besonders fasziniert und warum?

shopviu.ch:

Viu produziert in Norditalien Brillen nach Schweizer Design. Strategischer Entscheid: Kein Zwischenhandel, keine Mittelmänner – direkter Vertrieb. Der Kunde wählte online seine Wunschbrillen aus und kriegt ein Set mit max. 4 Brillen nach Hause gesendet.

Viu – als reiner Onlineplayer gestartet – hat schnell nach der Lancierung gemerkt, dass Brillen zwar online bestellt werden, die Kunden dann aber weitere Modelle gerne vor Ort anschauen wollen. Somit wurde nach einigen Pop-Up-Stores der Flagship Store in Zürich gegründet. Da Viu nicht auf eine repräsentative Adresse oder auf Laufkundschaft angewiesen ist, reicht dafür die Grüngasse in der Nähe des Stauffachers vollends aus. Beim Design des Stores wird aber komplett auf das Branding und Styling der Onlinewelt gesetzt. Dieses ist klar im Sinne von Schweizer Design auf elegante Reduktion gesetzt. Ebenso beim Preis mit 195.00 / 245.00 CHF für alle Brillen inkl. Brillengläser.

Viu hat also einen starken Pull aus dem Web, die meisten «Käufe» passieren dann aber doch im physischen Shop (wie meine eigene Brille auch ;-). Das hat dazu geführt, dass das Shop-Netz weiter ausgedehnt wurde auf heute insgesamt acht Filialen in der Schweiz und Deutschland. Mit Onlineapplikationen wie dem virtuellen Brillentester bleibt Viu auch am Plus der Online-Zeit.

Wenn Du Dir die Netzwirtschaft insgesamt, Euren Markt, Eure Firma, Deine Position ansiehst, was werden die Haupt-Herausforderungen in den nächsten Monaten oder Jahren sein?

Herausforderung für die Gesellschaft, bzw. den Staat:

Der Onlinehandel verändert die Gesellschaft nachhaltig. Gerade in der Schweiz, welche während langer Zeit als Hochpreisinsel im stationären Handel für hohe Margen gesorgt hat. Läden und Boutiquen mit austauschbaren Produkten werden nur wenig Chancen zum Überleben haben, wenn das gleiche Produkt günstiger nur einen Knopfdruck weg ist. Wir Schweizer Händler müssen uns fragen: Wo können wir Wert stiften, den andere nicht bieten können? Diesem Prinzip folgen wir mit „Appenzeller Gurt“: Unser Ziel ist es, mit einem qualitativen Nischenprodukt und gutem Service zu überzeugen – nicht mit einem „Knallerpreis“.

Der Preisdruck stellt für die Händler aber nicht die einzige Herausforderung dar: Online- und stationäre Kanäle sind sinnvoll zu kombinieren. Wie das Beispiel Viu zeigt, sind physische Stores auch im digitalen Zeitalter nicht wegzudenken, übernehmen heute jedoch in vielen Branchen eine andere Funktion als früher. Bei Viu geht es einerseits darum, dem Kunden eine stationäre Anlaufstelle bietet, wo er beraten wir und weitere Produkte haptisch erleben kann. Andererseits wird in den Shops aber auch ein Markenerlebnis geschaffen, das der Kunde so online nicht findet.

Ein anderer Weg geht der grösste Schweizer Onlineshop Digitec.ch, dessen Shops  einerseits für alle, die sich Pakete nicht nach Hause schicken lassen wollen, als Abholstation zu dienen. Im Unterschied zu Viu bietet Digitec nur einen Bruchteil seiner Produkte physisch im Shop an. Fokusgruppen haben ergeben, dass nur ca. 5% der Produkte wirklich von den Kunden in die Hand genommen und besichtigt werden wollen. Bei Digitec wichtiger ist ein breites Sortiment im Onlineshop in Kombination mit einem dichten Netz an Abholstationen – und natürlich eine schnelle Lieferung!

LeShop.ch von der Migros vereint die beiden Modelle: Onlineshopping wird mit der physischen Abholung in speziell designten Abholstationen und ausgewählten Verkaufsstellen kombiniert. Die Raffinesse: Analysen zeigen, dass die Kunden bei der Abholung im Geschäft zusätzlich einige Franken liegen lassen.

Egal wie man unterschiedliche Kanäle kombiniert, wichtig ist, dass die Mitarbeiter stationäres Geschäft und Onlinehandel nicht als Konkurrenz betrachten.

Herausforderung für die Netzwirtschaft in Schweiz / Europa:

In der Schweiz bestehen noch viele Regelungen, welche nicht den neuen Bedürfnissen und Herausforderungen des E-Commerce entsprechen. Auch ist nicht klar wie die Schweiz mit den vielen, teils auch bürokratischen Regelungen aus der EU umgehen soll. Eine klar Vorgehensweise und Information zu den Anforderungen für einen Onlineshop gehören für mich da auch dazu.

In der Schweiz ist der Verbraucherschutz gegenüber der EU jedoch klar schwächer, es herrscht meist das Vertragsrecht und die AGBs. Als konkurrenzfähiger Onlineshop hält man diese Vorgaben (Rücksendung etc.) jedoch meist freiwillig ein.

Der relativ junge Branchenverband Netcomm Suisse netcommsuisse.ch greift den Schweizer Onlineshops unter die Armen und organisiert Veranstaltungen und Fokusgruppen zu den brennendsten Themen. Zudem gibt der Verband den Onlineshops eine Stimme in der Politik.

Herausforderung für unseren Markt:

Ich denke lieber in Potentialen als in Herausforderungen. Der Fashionbereich ist dominiert durch Marken wie Zalando, die mit dem Gratisrückversand, schneller Lieferung und tiefen Preis kleinere Brands unter Druck setzen. «Go Big» oder finde eine Nische, wo du nicht dem enormen Preis- und Vergleichsdruck ausgeliefert bist. Für Brands ergibt sich neben dem üblichen Storeverkauf auch die Möglichkeit, das Produkt direkt online an den Endkunden zu verkaufen. Dabei ist es aber wichtig, dass die Onlinestrategie auch in allen Stores verankert ist, denn ein Kunde macht keinen Unterschied zwischen Store und Online. Das muss auch dem Verkaufspersonal im Store klar sein.

In der nächsten Zeit wird die Simulation der Realität vermehrt eine wichtige Rolle spielen und dadurch Verkaufsprozesse vereinfachen. Damit kann ein Kunden online z.B. verschiedene Brillen an seinem Gesicht ausprobieren, oder Schuhe können virtuell anprobiert werden.

Herausforderung für unsere Firma:

Von einem kleinen Onlineshop erwartet der Kunden ein ähnliche Benutzererfahrung wie von grossen Playern. Daher gilt es mit überschaubarem Budgetaufwand immer am Puls der Zeit zu bleiben und dem Nutzer möglichst angenehme und effektive Abläufe zu bieten. Ebenso gilt es, sich immer wieder neu zu erfinden, im Gespräch zu bleiben und neue Produkte auf den Markt zu werfen. Geplant sind viele Sachen, nur fehlt manchmal die Zeit. Sehr cool wäre ein 360Grad Film der Werkstatt, bei welchem Sennensattler Daniel Fuchs bei allen Arbeitsschritten beobachtet werden kann.

Was hat Dich bisher am meisten am Internet geärgert, was am meisten gefreut?

Der ganze Sicherheitsaspekt im Internet ist für mich extrem mühsam, mit dem Internet kann ein riesiges Publikum erreicht werden, es macht aber auch verletz- und angreifbar. Von Bots, welche nichts anderes tun, als Passwörter zu hacken, bis hin zu organisierten Cyberattacken ist das Netz Tummelplatz von Klein- und Grosskriminellen. Um dieses zu verhindern, muss viel Zeit und Budget investiert werden.

Was mich besonders freut, ist dass dank des Internets viel mehr Ideen konkret umgesetzt werden. Es braucht heute nicht mehr Unmengen an Geld, um ein (Online-) Business zu eröffnen. Das Führen eines Onlineshops ist für mich eine Befreiung – es gibt keine Präsenzeiten oder lokale Anwesenheitspflicht, der Shop 24/7 geöffnet.

Welches „Problem“ (privat oder im Unternehmen) würdest Du gerne von einem Start-up gelöst bekommen?

Natürlich selbst lösen. Gemeinsam mit einem Partner bin ich an der Entwicklung von spezifischen Plugins für den Schweizer Markt. Für amerikanische Shopsysteme wie Woocommerce auf WordPress gibt es praktisch keine brauchbaren Lösungen für den etwas eigensinnigen Schweizer Markt. Schweizer bezahlen immer noch zu 75% mit Rechnung, falls diese angeboten wird. Unser Plugin verbindet die Erstellung eines elektronischen Einzahlungscheins in der Bestellbestätigung mit einem automatischen Mahnwesen inkl. Kontrolle der eingehenden Zahlungen.

Gib uns doch bitte eine Empfehlung für…

einen Blog / eine Newsseite / ein Fachmagazin, mit dem/der Du Dich zu Fachthemen gerne informierst

NZZ Folio bringt noch gut recherchierte Stories und zeigt Hintergründe  auf, welche in der heutigen Newswelt etwas verloren gehen.

einen Artikel, der Dich in der letzten Zeit am meisten begeistert hat

Das war kein Artikel, sondern ein Video (egal welche Form ein Beitrag hat: spannend wird es, wenn er mich inspiriert, Neues auszuprobieren – und das war hier definitiv der Fall ;):

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ein spannendes Buch, das Dich für Dein Business inspiriert hat

«Businessclass» von Martin Suter hat mich dazu bewegt, nicht alles zu ernst zu nehmen. Und niemals in einer grossen Firma mit vielen Hierarchiestufen zu arbeiten.

eine Veranstaltung(-sreihe), auf der Du wirklich etwas dazugelernt hast

Im Oktober war ich für ein paar Wochen in Kalifornien. Zu dieser Zeit fand die NewCo statt, ein eigentlicher «Open-Door-Event» an dem praktisch alle Startups und Techfirmen in der Bay Area teilgenommen haben: Von Twitter, Uber bis hinzu kleines Startups wie «Casper Mattress» or «Back to the Roots», welche Pilze und andere Lebensmittel zum Selberzüchten verkaufen. Cool auch die app von yerdle.com, welche den Tauschhandel zurückbringt.

das hilfreichste Tool / die hilfreichste Software für Deine Arbeit

Mite für die Zeiterfassung

Drobbox für Datenaustausch

Hootsuite für Social Media Publishing

Mit welchem Experten würdest Du am liebsten einmal 1 Tag zusammenarbeiten, und warum?

Für mich ist weniger die Person als die Zusammenarbeit und der Dialog wichtig. Die bestehen Ideen kommen im Gespräch mit den unterschiedlichsten Menschen, das motiviert mich und bringt mich weiter.